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Centre de recherches en histoire et épistémologie comparée de la linguistique d'Europe centrale et orientale (CRECLECO) / Université de Lausanne // Научно-исследовательский центр по истории и сравнительной эпистемологии языкознания центральной и восточной Европы


-- J. Baudouin de Courtenay : «Einfluß der Sprache auf Weltanschauung und Stimmung (Drei Vorträge, gehalten in Kopenhagen Ende Mai und Anfang Juni 1923 auf Einladung des Rask-Ørsted-Komitees) [w:] „Prace Filologiczne”, T. XIV, 1929, s. 184-225. Odb. Warszawa, 1929 8° s. 71.

Es ist wohl Beweis einer großen Kühnheit, ja sogar Dreistigkeit, meinerseits, wenn ich es wage, mit meinen Vorträgen vor das dänische gelehrte und gebildete Publikum aufzutreten. Es gehört ja gerade Dänemark zu denjenigen Ländern, wo man seit vielen Jahren einer imposanten Reihe hervorragendster Sprachforscher begegnet. Es sind nicht nur gründliche und tiefgehende Kenner des Gegenstandes, sondern nebenbei bahnbrechende Denker, die verschiedene bis dahin unbekannte Aussichten entdecken und an der Spitze der wissenschaftlichen Bewegung schreiten.

Es ist keine Schmeichelei meinerseits. Es ist einzig und allein eine objektive Wertschätzung, eine Konstatierung des wirklichen Tatbestandes.

Um sich also zu entscheiden, vor einem an Belehrung seitens solcher Meister gewohnten Publikum das Wort zu ergreifen, sollte man ganz sicher sein, daß man im stände ist, etwas wirklich Neues und Beachtenswertes vorzubringen. Unterdessen, wenn ich einem objektiven Maßstab auch an mich selbst anlege, muß ich offenherzig bekennen, ich stehe ziemlich tief unter dem Niveau, welches als obligatorisch für selbstständige Gelehrten betrachter werden muß. Meine Belesenheit in der sprachwissenschaftlichen Literatur war immer sehr gering und folglich meine diesbezüglichen Kenntnisse höchst bescheiden.

Ich hatte mehr oder weniger gelungene Einfälle in einigen Gebieten der Wissenschaft. Auf Grund des von mir gewonnen faktischen Materials machte ich allgemeine Schlüsse, Vermutungen und allerlei Verallgemei­nerungen, gab mir aber keine Mühe, dieselben allseitig zu begründen und zu beleuchten. Ich habe dies und jenes angefangen, aber fast keine von meinen Arbeiten bis zu Ende geführt. Ich habe kein Ganzes gegeben und mich lediglich mit Bruchstücken begnügt.

Mit einem Wort, muß ich mich als warnendes Exempel betrachten, wie man gerade nicht arbeiten soll.

Ich habe eine ungeheure Maße verschiedenartigsten Materials (Stoffes) angehäuft, die Bearbeitung desselben aber immer weiter verschoben, bis ich endlich diese meine im Laufe meines ganzen Lebens gesammelten Schätze im Jahre 1918 in Petersburg verlassen mußte, wo sie verloren und vernichtet wurden. Ich muß mich also als einen gewissermaßen Verstorbenen betrachten. Meine wissenschaftliche Tätigkeit ist beinahe vollständig gelähmt, paralysiert. Es wurde mir ein großes Unrecht zugefügt, und ich würde gewiß vorgezogen haben, wenn man mich ganz einfach erschoßen hätte, anstatt mich aller meiner mit einer solchen Mühe gesammelten Schätze zu berauben.

Unter diesen Schätzen fanden sich auch reichliche Materialien zu dem von mir gegenwärtig gewählten Thema über den Einfluß des sprachlichen Denkens auf Weltanschauung und Stimmung. So wie es ist, nach dem an mir verübten Raube, bin ich gezwungen mich fast ausschließlich meinem Gedächtnisse anzuvertrauen und auf die Hilfe meiner Notizen zu verzichten.

Infolgedessen glaube ich, daß Sie nicht viel Neues von mir erfahren und daß überhaupt meine Auseinandersetzungen ziemlich blaß und wenig ersprießlich ausfallen werden.

 

§ 1. Das von mir gewählte Thema zerfällt in zwei Teile. Im ersten Teil möchte ich den Einfluß des sprachlichen Denkens auf das menschliche Denken und auf das menschliche Fühlen nach verschiedenen Seiten hin im allgemeinen berühren. Der Zweite Teil aber soll einer möglichst allseitigen Beleuchtung des Zusammenhangs gewidmet werden, welcher vermutlich zwischen der Unterscheidung grammatischer Geschlechter und zwischen der Weltanschauung und Stimmung der mit diesem sprachlichen. Auswuchs belasteten Individuen besteht.

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§ 2. Ich gehe von der unleugbaren Tatsache aus, daß unser Denken und Fühlen keineswegs einheitlich ist. Es bewegt sich in verschiedenen Richtungen und Strömungen. Das sprachliche Denken und das es begleitende Fühlen sticht deutlich und markant vom übrigen Denken und Fühlen ab. Trotzdem befinden sie sich in einem engen Zusammenhang und beeinflußen sich gegenseitig. Das sprachliche Denken bildet sich unter der unaufhörlichen Einwirkung der Außenwelt, muß aber seinerseits die Wahrnehmung und die Bearbeitung dieser Außenwelt in unserer Psyche beeinflußen. Jedes Neugeborene und an dem gesellschaftlichen Verkehr mittelst der Sprache teilnehmende Individuum empfängt sprachliche Eindrücke von seinen älteren Sprachgenossen und bildet sich seine Sprache einerseits, andererseits aber befindet sich unter der unaufhörlichen Einwirkung der Außenwelt. Seine Auffassung dieser Außenwelt, seine Weltanschauung wird von den Eigentümlichkeiten dieser ihm einzuimpfenden und endlich eingeimpften Sprache allseitig gefärbt. Was ist das Erste und was ist das Zweite, ob das Individuum, als sprachliches Embryo, zuerst der Einwirkung der Außenwelt und erst später der Einwirkung der sprachlichen Kundgebungen der es umgebenden Personen unterliegt, ist ziemlich gleichgültige und untergeordnete Frage. Sie erinnert einigermaßen an die Frage: was war zuerst, Huhn oder Ei?

Im menschlichen Geschlecht, als in einem historisch entstandenen und sprachlich tätigen Kollektive, begann die Sprache sich unter den von der Außenwelt, im weitesten Sinne des Wortes, bekommenen Reizen und Einwirkungen zu entwickeln und hat sich schließlich in voller Üppigkeit entwickelt. Die in der uns umgebenden Natur vorkommenden Eigentümlichkeiten und Unterschiede spiegeln sich mehr oder weniger in den Merkmalen und Unterschieden unseres sprachlichen Denkens ab. Aber hier, wie auch woanders, gilt der Grundsatz: man solle das Gleiche mit Gleichem vergelten. Wenn sich die Eigentümlichkeiten und Unterschiede der Natur, der gesellschaftlichen Organisation, schließlich unserer inneren Welt, unseres psychischen Lebens in der Sprache widerspiegeln, so entledigt sich auch die Sprache ihrer Schuld dadurch, daß sie die in menschlicher Seele durch den Einfluß der Außenwelt entstandenen Vorstellungen eigenartig färbt und ihre Merkmale und Unterscheidungen auf den in menschlicher Seele existierenden Mikrokosmos überträgt.

Die dem sprachlichen Denken eigene Weltanschauung wird zur Weltanschauung des Menschen überhaupt. Die durch die Worte und sonstige Sprachelemente hervorgerufene Stimmung wird zur menschlichen Stimmung überhaupt, mag diese Stimmung freudig oder traurig, aufgeregt oder niedergedrückt, freundlich oder feindlich, wohlwollend oder unwillig, feierlich oder alltäglich sein.

 

§ 3. Es wirkt vor allem die Sprache als solche, das sprachliche Denken als solches, seine Offenbarung und Kundgebung durch Sprachende und sein Vernehmen durch Hörende, als eine eigenartige Energie, auf unsere Weltanschauung ein. Mittelst der Sprache stellt sich der Mensch aller übrigen Tierwelt entgegen. Diese Bevorzugung des Menschen, im Unterschied von den übrigen Tieren, stärkt die dem Menschen sowieso angeborene Megalomanie, den menschlichen Größenwahn, die Überzeugung, es sei der Mensch Lieblingskind des Schöpfers, welcher ihn unter allen seinen Geschöpfen auszeichnete, ihm alle anderen Geschöpfe und sogar die ganze Welt unterordnete, ihn zum Gegenstand seiner besonderen Sorgfalt und Pflege machte, ihm den Auftrag erteilte, alle lebende Wesen und alles in irgend einer Weise Existierende zu benennen. Der Schöpfer hielt es sogar nicht unter seiner Würde, auf die Erde niederzusteigen, sich in die leibliche Hülle eines solchen Wurmes in der Person seines eigenen Sohnes einzuverleiben und sich für diese elenden Würmer kreuzigen zu lassen. Es sind wohl nicht alle sprechenden Geschöpfe von diesem Größenwahn beherrscht; es ist aber klar, daß in den vom sprachlichen Denken freien Köpfen eine solche megalomanische Idee keineswegs entstehen konnte.

Der Mensch hat andere Tiere gebändigt und gezähmt. Der Mensch verstand es, auch die übrige Natur zu seinem Wohl und zu seinem Schaden auszunutzen. Und da bildet er sich ein, er habe das Recht dazu von dem Schöpfer selbst erhalten. Alle seine Vorgehen und Umtriebe, alle seine Übel- und Greueltaten seien von dem Schöpfer selbst nicht nur erlaubt, sondern sogar gesegnet. So etwas konnte sich nur ein sprechendes und in sprachlichen Kategorien denkendes Wesen einbilden.

Es gibt zwar im Leben sowohl einzelner Individuen, wie auch verschie­dener menschlicher Gruppen vorübergehende Momente, wo man sich mit der ganzen belebten und unbelebten Natur solidarisch fühlt, die ganze Welt umarmen möchte und geneigt ist, im Kampf mit der Außenwelt die Waffen zu strecken und friedlich mit ihr zu leben. Es gehört dazu eine wohlwollende und gutmütige Stimmung, wobei man in dichterischer Begeisterung die Natur verherrlicht und sich für einen mit ihren Beizen Bezauberten und Entzückten erklärt.

Um in eine solche feierliche und optimistische Stimmung zu geraten, muß man vor allem satt sein und keine Not empfinden. Und überhaupt bildet die Befriedigung unserer elementaren Bedürfnisse, die allernotwendigste Bedingung, um in der Rolle eines guten rechtschaffenden und edlen Men­schenkindes aufzutreten. Sobald man aber Hunger empfindet, hört die Gemütlichkeit auf und es tritt der brutale „Kampf ums Dasein“ in seine vollen Rechte ein. Die gute engelartige Stimmung verflüchtigt sich und man fängt an, die uns umgebende Natur zu bewältigen und zu zerstören, um auf solche Weise seine Begierden zu befriedigen. Man schont dabei keineswegs unsere „Nächsten“, nicht nur unsere vierfüßigen sondern sogar unsere zweifüßigen und flügellosen „Nächsten“ und Leidensgenossen, Die selbst in unseren Zeiten vorkommenden Fälle der Menschenfresserei bezeugen es in beredsamer Weise.

Die Ermordung anderer Menschen behufs Sättigung mit ihrem Fleisch des hungrigen Magens wurde bei unserem entlegenen menschenähnlichen Vorfahren von höchstangenehmen, aufregenden, wollüstigen Empfindungen begleitet. Und obgleich man später aufgehört hatte, das Fleisch des geliebten Nächsten zu genießen, so werden trotzdem diese höchstangenehmen, aufregenden, wollüstigen Gefühle, auf dem Wege der Vererbung, bis in die weitesten Generationen fortgepflanzt, und dies erklärt uns, warum die meisten Menschen bereit sind, so gern andere Menschen zu töten und zu quälen, ohne davon einen direkten egoistischen Nutzen zu erreichen. Sie pflegen ausschließlich die Kunst der Kunst wegen.

Ein hungrieges Tier kann zwar ein anderes ihm ähnliches Tier töten, um es zu verzehren; wird aber nie seine Mordtat mit schönklingenden heuchlerischen Phrasen rechtfertigen. Um eine solche Heuchelei zu treiben, um unverschämt zu erklären, daß man im Namen der Freiheit, der Macht des Vaterlandes, der Kultur, der Zivilisation, der Revolution, der Gerechtigkeit, des Fortschritts, kurz und gut im Namen verschiedener schönklingenden Losungswörter lebende Wesen vernichtet und Kulturschätze zerstört, dazu gehört die Verblendung und die Fälschungssucht eines mit dem sprachlichen Denken ausgestattenen Wesens, eines Wesens, welches seine sogenannten Ideen in Wörter einverleibt und dieselben in seine Abgötze und Moloche verwandelt. Abgötze aber und Moloche verlangen Opfer und Schandtaten. Ist das ein Vorrang oder eine Hintersetzung im Vergleich mit den Tieren, wage ich nicht zu entscheiden.

 

§ 4. Das war die Bedeutung der Sprache als solcher, die Bedeutung des sprachlichen Denkens als solches. Aber neben der Tatsache, daß sich durch das Sprechen das menschliche Geschlecht von allen anderen auf der Erdoberfläche lebenden Wesen unterscheidet, begegnen wir einer anderen höchst wichtigen Tatsache, der Tatsache der Sprach Verschiedenheit der Vielsprachigkeit.

Dabei stellt man einerseits eigene Sprache, seine Muttersprache allen anderen Sprachen gegenüber, andererseits aber bringt man diese Vielsprachigkeit mit verschiedenen anderen sich im Schöße der Menschheit vollziehenden Prozeßen zusammen. Verschiedene menschliche Kollektive, verschiedene Völker unterscheiden sich untereinander vor allem durch ihre Sprachen.

Jeder Einzelne wurde zu einem vollen Menschen erst nach der Beherrschung der Sprache, nach der Einpflanzung in seinem Kopfe des sprachlichen Denkens. Es war aber kein allgemeinmenschliches sprachliches Denken, es war keine allgemeinmenschliche Aussprache, es war kein allgemeinmenschliches Sprach- vernehmen. Man wurde zum sprechenden Menschen vermittelst einer bestimmten Sprache, welche man in der Regel Muttersprache nennt.

Mit der Vorstellung der Muttersprache assoziieren sich unsere Erinnerungen an die ersten von uns erworbenen Kenntnisse, an die allererste Bereicherung unserer Seele, an die diese allerersten Eroberungen unseres Geistes begleitenden Gefühle. Darum ist jedem seine Muttersprache so teuer, darum versetzt sie uns in eine ganz eigentümliche Stimmung.

Wenn ich z. B. meine hochgeschätzten Zuhörer dänisch anreden und meine Vorträge in dänischer Sprache halten könnte, würde ich gewiß eine mir gegenüber besonders freundliche Stimmung schaffen. Leider, ist es mir unmöglich. Sonst, um eine wirklich freundliche Stimmung in den An­gehörigen einer gewißen Sprache hervorzurufen, muß man diese Sprache gut sprechen und korrekt aussprechen. Wenn man sie schlecht spricht und ausspricht, läuft man die Gefahr hin, lächerlich zu erscheinen oder überhaupt unangenehm zu wirken. Man wird dann höchstens nachsichtig. toleriert. Was die Lächerlichkeit betrifft, so nimmt sie im Verhältnis zum kulturellen Niveau ab. Um über einen die gegebene Sprache schlechtsprechenden Fremden zu lachen, dazu gehört eine gewiße Wildheit. Die geistig Aufgeklärten und hochstehenden Individuen lachen in solchen Fällen nicht; sie vertragen duldsam das an ihrer Sprache geübte Badebrechen und Verdrehen.

Wenn man in einem fremden Land einem Sprachgenossen begegnetr empfindet man ein angenehmes Gefühl und wird in eine freundliche Stimmung versetzt, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß man mit keinem Dieb, Betrüger, Bauernfänger, Spione od. ä. zu tun hat. Wenn ein solcher Verdacht auftaucht, nimmt man sich in Acht, wird vorsichtig. Der Klang der Muttersprache wird dann von einer höchst peinlichen Stimmung begleitet.

Ich kann aus meinen eigenen Erinnerungen einen interessanten Vorfall anführen. Vor etwa dreißig Jahren begab ich mich mit einem Dampfer aus Venedig nach Lido oder umgekehrt. Auf dem Deck befand sich ein russisches Paar aus Moskau, welches sich ganz gemütlich unterhielt. Auf einmal bemerkten sie an einem anderen Dampfer eine Ratte. Sie wollten von dem Matrosen erfahren, wie die Ratte auf Italienisch heißt. Sie verstanden aber sehr wenig Italienisch, und der Matrose war nicht im stände sich mit ihnen zu verständigen. Um ihnen gefällig zu sein, mischte ich mich in dieses erfolglose Gespräch ein und sagte: „krysa po italjanski topo (die Ratte heißt italienisch topo). Dies genügte, um dieses lustige Paar in eine düstere Stimmung zu versetzen. Sie bedankten sich für die ihnen von mir gegebene Erklärung mit keinem Wort und schwiegen bis ans Ende unserer kurzen Reise, als ob sie Wasser im Munde hielten. Sie haben in mir augenscheinlich eine verdächtige Persönlichkeit gewittert. Die russischen (und nicht nur russischen) Reisenden und Emigranten empfanden seit Jahren keine besondere Lust beim Zusammentreffen mit wirklichen oder vermeintlichen Landsleuten.

Eine ganz entgegengesetzte Erfahrung machte ich bei meinem ersten Besuch der drei slawischen, d. h. serbokroatischen, Kolonien in Süditalien (Provinz Campobasso), wenn ich mich gut erinnere, im Jahre 1895.

Als ich mich der Kolonie Acquaviva colle croci näherte, traf ich mit drei Einwohnern dieser Kolonie zusammen. Ich habe sie zuerst italienisch angeredet, versuchte aber auch serbokroatisch zu sprechen. Der Klang ihrer Muttersprache in meinem Munde hat sie in eine höchst freundliche und entzückte Stimmung versetzt: „naš brat! naša kri!“ (unser Bruder! unser Blut!) riefen sie und haben mich beinahe umarmt und geküßt.

Der Begriff der Muttersprache ist sonst relativ. Als eigentliche Mut­tersprache kann nur das lokale Idiom, genauer gesagt, das Familienidiom betrachtet werden. Wo lokales Idiom von der Schul- und Literatursprache sehr wenig abweicht, decken sich beide Begriffe fast vollständig. Anders, wo die offizielle Sprache oder die allgemein anerkannte Nationalsprache den eigentlich anders Sprechenden zwangsweise oder freiwillig aufgedrängt wird, wie z. B. in Italien, wo nicht nur verschiedene für einen italienisch Sprechenden ganz unverständliche romanische, sondern auch zu anderen Sprachstämmen gehörende Dialekte (Deutsch, Albanesisch, Griechisch, verschiedene slawische Idiome) unterschätzt und beinahe ignoriert werden und einzig und allein die italienische Schriftsprache als allgemeine Lingua madre aller zum italienischen Staat gehörenden Bürger gilt. In solchen Verhältnissen müßen sich die mit der Vorstellung einer Muttersprache verbundenen Weltanschauungen und Stimmungen eigenartig gestalten.

 

§ 5. Wenn die allgemeine Sprachfähigkeit und Sprachtätigkeit des ganzen menschlichen Geschlechtes nicht im Stande ist, der Entwicklung des Gefühls einer allgemeinmenschlichen Solidarität beizusteuern, um desto mehr wirkt das Bestehen der Vielsprachigkeit, der Unmöglichkeit einer gegenseitigen Verständigung des Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften in einer entgegengesetzten Richtung, d. h. in der Richtung einer feindlichen Gruppierung einzelner Völker und sonstiger menschlichen Kollektive. Die eigene Sprache, die Muttersprache wird allen anderen Sprachen gegenübergestellt, und, bei dem den meisten Menschen angeborenen Bedürfnisse andere Mitmenschen zu hassen, kann diese Gegenüberstellung eventuell zur Quelle eines gegenseitigen Hasses, einer feindlichen Stimmung werden.

Anderssprechende werden mit Verachtung und Geringschätzung behandelt. Das altindische Wort mlecchah, das griechische βάρβαρος, das slawische nĕmьcь, das russische čud’ čuchońec, das romanische (italienische, friaulische) schiavo, sklaf, esclave, das englische slave, sei es als direkte Benennungen irgendeines beeinträchtigten Volkes, sei es als übertragene Bezeichnungen der Unterjochten und Sklaven, — stehen in einem engen Zusammenhang mit dem eigenen Größenwahn und mit der verächtlichen Behandlung Anderssprechender. Es steckt darin eine eigentümliche Weltanschauung, verbunden mit einer eigenartigen Stimmung.

Heutzutage sollte die kulturell entwickelte Menschheit über solche ungerechte und „undemokratische“ Behandlung erhaben sein. So vor allem erlaube ich mir vorauszusetzen, daß man in den skandinavischen Ländern einem Völkerhaß und Völkerverachtung seltener begegnet, als in vielen anderen angeblich auch zivilisierten Ländern.

Der Wahn, man erreiche die politische Vereinigung und Einheit vermittelst der Beseitigung fremder Sprachen in demselben Staate, zog immer die Sprachverfolgung, die Sprachvergewaltigung und sprachliche Entnationalisierung nach sich. Diesen Unfug hat man seit ältesten Zeiten getrieben. Die sogenannte Weltgeschichte bietet uns zum großen Teil ein abstoßendes Schauspiel gegenseitiger Verfolgung auf Grundlage der Sprachver-schiedenheit. Die Äußerungen dieser Psychose sind entweder chronisch, oder akut und vorübergehend.

Infolge einer Mischung der Begriffe „Staat“ und „Nationalität“ haben in den meisten Staaten die bevorzugten Nationalitäten eine systematische Beeinträchtigung Anderssprechender getrieben und sich zum mehr oder weniger bewußten Endzweck vollständige sprachliche Denationalisierung dieser Anderssprechender gestellt. In Preußen und später in Deutschland überhaupt strebte man nach einer nicht nur staatlichen, sondern auch sprachlichen Germanisierung aller sich nicht als Deutsche fühlenden An­gehörigen des deutschen Beiches. Es haben dies die Polen, die Dänen und andere an eigener Haut erfahren. Nach der Annexion von Elsaß und Lothringen im Jahre 1871 erlaubte man sogar keine Aushängeschilde in der französischen Sprache, und es mußte z. B. der französische coiffeur einem deutschen Friseur weichen. Es ist interessant zu erfahren, wie sich jetzt, nach der Wiedereroberung von Elsaß und Lothringen, die französischen Patrioten dem deutschen Element gegenüber verhalten. Man ist ja doch immer geneigt, das Gleiche mit dem Gleichen zu vergelten.

In Rußland duldete man kaum andere, nicht großrussische Sprachen und man trieb mit großem Eifer, obgleich mit einem zweifelhaften Erfolg, eine Russifizierung aller „Andersgeborener“ oder allogenoi (inorodzi). Es war z. B. in einigen Städten und Provinzen verboten, polnisch zu sprechen. Es war überhaupt im ganzen russischen Reiche verboten, litauisch, kleinrussisch oder ukrainisch, weißrussisch zu schreiben, zu drucken und zu lernen. Diese mit der Sprachverschiedenheit zusammenhängende Verfolgungswut trat und tritt schärfer oder schwächer auch in verschiedenen anderen Staaten auf.

Am Anfang und während des letzten Krieges, am Anfang und während dieses Weltverbrechens und Weltirrsinns, wo sogar Denker und Gelehrte in Schwach- und Dummköpfe verwandelt wurden, verbot man in Rußland deutsch zu sprechen, als ob die Sprache deutscher Denker, Dichter, Künstler und Wohltäter der Menschheit schuld daran wäre, daß einige von den Weltbanditen und Weltbrandstiftern auch deutsch sprachen. Man vergaß dabei, daß viele Angehörige „befreundeter“ und neutraler Staaten, ja sogar viele als russische Untertanen für Bußland kämpf ende Soldaten sich auch der deutschen Sprache als ihrer Muttersprache bedienten. Gleichzeitig prügelte man diejenigen, die sich erdreisteten, auf den Straßen Berlins in französischer Sprache Mund zu öffnen, in Paris wieder diejenigen, die es wagten, dasselbe in deutscher Sprache zu tun.

Von dem Klange der Rede im Munde des Angeredeten hängen manchmal freundliche oder feindliche Stimmung, freundliche oder feindliche Behandlung ab. Während der sog. Sizilischen Vespern im Jahre 1282 entschied das italienische Wort ciceri über das Leben und Tod der Menschen. Wer dieses Wort nach französischer Weise aussprach, wurde sofort getötet. Jüdische Aussprache der betreffenden Sprache erweckt in der Seele des Antisemiten eine feindliche Stimmung.

So sehen wir, daß in der riesenhaften Verbrecheranstalt und in dem riesenhaften Irrenhaus, welches Menschheit heißt, allerlei Kundgebungen der von dem Menschenhasse vergifteten und verblendeten Xenophobie oder Fremdenscheu in der menschlichen Sprache und ihren Verzweigungen wurzeln. Und da findet man eine eigenartige Färbung der sprachlich angesteckten Weltanschauung, und eine mit dieser Weltanschauung eng verflochtene, von Unwillen, Geringschätzung, Verachtung, Haß, Rachsüchtigkeit und sonstigen die Nächstenliebe bekundenden Gefühlen schnaubende Stimmung.

 

§ 6. Mit der sprachlich bedingten Xenophobie oder Fremdenscheu hängt der sprachliche Purismus zusammen, d. h. der Drang nach der Ausmerzung vermeintlicher fremden Elemente aus der eigenen Sprache. Bis zu einem gewißen Grade kann dieses Streben nach der Reinigung der Sprache gerechtfertigt werden. Man soll sich dabei nur von ganz objektiven, rein sprachwissenschaftlichen Motiven leiten lassen, darf aber nie vergessen, daß dabei eine Befleckung des Gemüts durch einen blinden Widerwillen gegen alles Fremde aus allgemeinmenschlichen ethischen Gründen zu verwerfen ist.

Man findet diesen enragierten Purismus besonders bei einigen kleineren Völkern, welche ihren verhältnismäßig geringen Weit auf dem Gebiet des allgemeinmenschlichen Wirkens und Fortschritts an den ganz unschuldigen Fremdwörtern ihrer Sprachen rächen möchten. So haben sich auf diesem Kampfplatz verschiedene slawischen Völker ausgezeichnet und echte Strafexpeditionen gegen barmlose und doch lästige Minoritä­ten des sprachlichen Denkens veranstaltet. Sie trachteten darnach, sogar solche wissenachaftliche Ausdrücke, wie Physik, Chemie, Arithmetik, Algebra, Energie, Elektrizität, Sinus, Cosinus, Tangens, Cotangens, Typhus, Diphtheritis... zu beseitigen und sie mit stockheimischen Wörtern zu ersetzen. Es wurden nicht einmal Karl der Große und Friedrich der Große geschont. Sie figurieren in den heimischen Handbüchern der allgemeinen Geschichte als Dragutin Veliki und Miroslav Veliki. Dabei griff man manchmal fehl, gerade von dem eigenen Standpunkt aus. Man unterschob den heimischen Körper, behielt aber die fremde Seele, d. h. fremde semantische Assoziationen. Um solche mit dem patriotischen Eifer geschmiedeten Wörter und Ausdrücke zu verstehen, muß man sie vor allem in fremde Sprachen, aus welchen sie angeblich stammen, übersetzen. Nachdem die Rumänen sich dessen bewußt wurden, sie seien nachkommen der Weltbeherrscher und Weltbezwinger und Nächstverwandte solcher hervorragenden Nationen, wie Italiener, Franzosen, Spanier, haben sie beschießen, ihrer Sprache eine ausschließlich romanische Gestalt zu verleihen, und alles Fremde, in erster Reihe alles Slawische, ohne Erbarmen zu verbannen.

Nach dem blendenden Siege d. J. 1870-71 hielten sich die Deutschen für die mächtigste Nation, die außer Gott niemanden fürchtet, und bekamen einen nationalistischen Kopfschwindel. Leider ging diese politische Macht mit der Abnahme der geistigen Macht und mit der Zunahme der Schwachköpfigkeit Hand in Hand zusammen. Und es fing an auf einmal die puristische Seuche zu wüten, welche zwischen den Deutschen und zwischen der übrigen zivilisierten Welt eine Art chinesische Mauer emporheben sollte. Selbstverständlich unterlagen nicht nur alle Deutschen dieser ansteckenden Krankheit, aber die gesund gebliebenen befanden sich in einer verschwindend kleinen Minderheit.

Dieser xenophobisch angestrichene sprachliche Winkelpatriotismus nimmt in den Zeiten des geistigen und ethischen Verfalls und Verwilderung zu. Es kommt gar zu oft vor, daß die staatliche Macht und die Gemütsgröße in einem umgekehrten Verhältnis zu einander stehen.

Man kümmert sich dabei gar nicht darum, daß eine solche puristische Operation gewissermaßen eine Fälschung der Geschichte bedeutet. Man will ja alle Spuren der Einwirkung fremder Sprachen auf unsere eigene tilgen. Ein solcher antihistorischer Fanatismus erinnert an die rasenden Umtriebe, die bei der Umnennung von Ortschaften, Straßen, sogar von Menschen zum Vorschein kommen, und zwar abhängig davon, welche Nationalität, welche Partei im gegebenen Augenblick Oberhand gewinnt.

Eine größere oder geringere Spannung der sprachlichen Xenophobie oder Fremdenscheu hängt manchmal von der eigenartigen Gestaltung statistischer und sonstiger Verhältnisse zwischen den verschiedensprachigen Elementen der gegeben Sprache ab.

Im Englischen halten sich zwei Hauptelemente dieser Sprache beinahe Gleichgewicht. Trotzdem, wenn das nationale Bewußtsein der Engländer sie dahin führte, sich ausschließlich zum germanischen Sprachstamm zu bekennen und alles Romanische als Fremdes zu betrachten, könnten sie sich auch von dem nationalistischen xenophobischen Wahn fortreißen lassen und sich bemühen, der lästigen romanischen und sonstigen Ausländer ihrer Sprache los zu werden. Es liesse sich auch ein entgegengesetzter Fall denken. Zum Glück bilden die englisch, sprechenden Engländer und Amerikaner in sprachlich-nationaler Beziehung etwas ganz Eigenartiges. Das Angelsächsische stammt wohl vor allem aus der germanischen Quelle, hat sich aber zu einem besonderen mächtigen Ganzen entwickelt. Der eigenartige Nationalismus und Imperialismus beider Abzweigungen der angelsächsischen Gemeinschaft ist weit entfernt von dem Winkelpatriotismus und trägt eher das Gepräge eines Universalismus an sich.

So etwas war, wie es scheint, auch dem römischen Imperialismus eigen. Im römischen Pantheon war Platz genug auch für fremde nationale Götter.

Ich verwahre mich gegen den Verdacht, ich sei ein Verehrer der römischen und der englischen Verschlingungswut. Ich will nur die tatsächliche Seite feststellen und spreche einzig und allein von der mit dieser Verschlingungswut  verbundenen eigenartigen  Toleranz  in  sprachlicher Hinsicht.

Der denkende Engländer ist über solche kleinlichen puristischen Versuche erhaben und, treu dem Losungswort Time is money, will keine Zeit verlieren, um Misverständnisse zu mehren und historische Kontinuität zu unterbrechen.

Im Gegensatz zum sprachlichen Chauvinismus und nationaler Exklusivität (Ausschließlichkeit), bemerkt man manchmal eine sozusagen, sprachliche Gastfreundschaft. Fremde Ankömmlinge werden nicht nur toleriert und gleichberechtigt, sondern sogar mit Vorrechten ausgestattet. Und es ist auch nicht zu leugnen, daß eine solche bewußte und meistens unbewußte Gastfreundschaft zu einem wirklichen Vorteil der betreffenden Sprache gereichen kann. Einige Entlehnungen erlauben die mit den sprachlichen Gebilden assoziierten Begriffe und Vorstellungen zu nuancieren (schattieren). Ich brauche nur den Nutzen zu nennen, welchen die französische Sprache aus ihren lateinischen Entlehnungen oder die russische -Sprache aus ihren kirchenslawischen Entlehnungen gezogen hat.

 

§ 7. Das oben Bemerkte bezog sich auf einige mit der Mehrsprachigkeit zusammenhängenden Kundgebungen eigenartiger Weltanschauung und Stimmung. Damit sind selbstverständlich alle Möglichkeiten solches Zusammenhanges bei weitem nicht erschöpft.

Ich erwähne noch die Erlernung fremder Sprachen, die infolgedessen ebenfalls zu eigen werden. Mit jeder neu erlernten Sprache erweitert sich unser geistiger Gesichtskreis. Mit jeder auch nur teilweise erworbenen Sprache assoziieren sich Erinnerungen an die Aneignung neuer Kenntnisse, an die Erweiterung des geistigen Gesichtskreises, an die Vervollkommung der Weltanschauung, an die Veredelung moralischer (ethischer) Triebe. Gewiß, es können mit jeder neuen Sprache auch neuer Schmutz und neue Lebensgemeinheit in den Kopf geraten; aber quantitativ weichen sie gewöhnlich jenem Guten, Erhabenen und Edlen, welches, als Folge de Befreundung mit den bis jetzt fremden Sprachen unsere Seele bereichert hatte.

Mit jeder neuen Sprache gewinnt man sozusagen eine neue Seele. Ich kann es mit eigenen Erfahrungen bestätigen, obgleich ich nur eine geringe Anzahl von Sprachen praktisch beherrsche. Wie sich der berühmte Kardinal Mezzofanti in dieser Hinsicht fühlte, können wir nur vermuten. Ich darf mich aber auf meine persönliche Bekanntschaft mit dem nicht minder als Mezzofanti begabten Dr. Sauerwein berufen. Dieser wahre Sprachvirtuose verstand ungefähr 200 Sprachen und sprach geläufig und war literarisch tätig in etwa 50-60 Sprachen. Er versicherte mich, er fühle sich mit jeder Sprachgemeinschaft solidarisch, deren Sprache sich in seinem Kopf eingepflanzt hatte. Und wirklich besaß er ein feines Verständnis für nationale Strebungen und Ideale aller dieser Völker, kämpfte eifrig für ihre nationalen Rechte, nahm sie in Schutz gegen alle Unterdrücker. Deutscher von Geburt und durch seine nationale Zugehörigkeit, trat er nichtdestoweniger als Verteidiger nationaler Rechte deutscher nationalen Minoritäten auf, d. h. der Wenden oder Serbo-Lausitzer in Sachsen und Brandenburg, der Dänen in Schleswig, der Polen in Posen, Schlesien und Preußen, der Litauer in Ost-Preußen, der Franzosen in Elsaß-Lothringen.

Und überhaupt sollte eigentlich jeder Kenner mehrerer Sprachen zum friedlichen Vermittler zwischen den lebenden Trägern dieser Sprachen werden. Leider geschieht es höchst selten. Die Kenntnis mehrerer Sprachen hindert es gar nicht, daß der Betreffende diese Kenntnis zum gegenseitigen Schaden benachbarter und nebeneinander wohnender Völker benutzt und anstatt an der Beruhigung und Versöhnung, gerade an der Anfachung des gegenseitigen Hasses und Ausrottungsucht arbeitet. Nicht nur in einem Land, sondern sogar in dem Kopf eines einzelnen weicht der Sprachfrieden einem verbissenen Sprachenkampf.

 

§ 8. Die Sprach Verschiedenheit im allgemeinen hängt a ach in dem Sinne mit der Weltanschauung und Stimmung zusammen, daß sie als Mittel der Wertschätzung der Bildungsstufe und sozialer Stellung ebenso einzelner Menschen, wie auch ganzer menschlichen Kollektive gilt. Es gibt ja doch vornehme und gemeine Sprachen, die Sprachen der Gebildeten und Gelehrten einerseits, die Sprachen des gemeinen Volkes andererseits. In der altindischen Literatur wird der Unterschied des Sanskrits und des Prakrits dazu benutzt, um den Unterschied zwischen den Männern aus den privilegierten Kasten der Priester und Ritter und zwischen dem Weibervolk sogar dieser privilegierten Klassen und den männlichen Repräsentanten der übrigen sozial beeinträchtigten Kasten sprachlich zu betonen.

Bekannt ist auch der die soziale Stellung und die Bildungsstufe markierende Unterschied zwischen Lingua nostra und linguae vulgares. In anderen Zeiten konnten Angehörige verschiedener europäischen Völker, sogar die Deutschen, auf den Namen der Gebildeten nur in dem Fall Anspruch erheben, wenn sie französisch sprachen. Der Unterschied zwischen der Anwendung der italienischen Sprache und der in Italien üblichen Lokalmundarten gehört zu derselben Kategorie. Sogar die eifrigsten Patrioten und Vorkämpfer der nationalen Rechte einzelner slawischen Völker Österreichs bedienten sich im gemeinsamen Verkehr untereinander und mit den gebildeten Landsleuten der deutschen Sprache, da gerade die deutsche Sprache den Stempel einer Vornehmheit an sich trug.

In den früheren baltischen Provinzen Rußlands galt die deutsche Sprache als Zeichen der Bildung und der sozialen Bevorzugung, während die lettische und estnische Sprache als Sprachen der Bauer und des städtischen Proletariats fungierten. Die herrschenden Deutschen schätzten ihre deutsche Sprache so hoch, daß sie das gemeine Volk für unwürdig hielten, um sich diese edle Sprache anzueignen. Darum unterhielten sie für die Letten und Esten rein lettische und estnische Schulen, und betrachteten diese ihre Untertanen als einer Germanisierung unwürdig.

 

§ 9. Mit der Frage der sprachlich bedingten Weltanschauung und Stimmung ist auch die Unterscheidung verschiedener Style des Sprechens und Schreibens verbunden. Eine verhältnismäßige Sorgfalt und Nachlässigkeit, das Streben nach Zeitersparnis und Kraftersparnis, der dabei zum Vorschein kommende eigenartige Egoismus und Altruismus, der Kampf um Klarheit und Durchsichtigkeit, sei es in rein phonetischer, respective graphischer Hinsicht, sei es in Hinsicht auf den Inhalt des Gesprochenen, alles das sind Faktoren des Sprachverkehrs und der Sprachgeschichte von nicht zu unterschätzendem Belang. Die Schule, die Kanzel, der Katheder, die agitatorischen Reden in Volksversammlungen erwecken eine feierliche über das alltägliche Leben erhobene Stimmung und wirken in der Sprachgeschichte konservativ, während das nachlässige Sprachen im Familienkreis und im Alltagsleben lassen unsere Stimmung auf dem niedrigen Niveau, dafür aber beschleunigen sie geschichtliche Sprachänderungen.

Eine gespannte, ungewöhnliche Stimmung braucht gar nicht mit dem Inhalt des Gesprochenen und des Gehörten zusammenzuhängen. Grammatische oder arithmetische Regeln, sogar ein reiner aller Bedeutung barer Unsinn, wenn pathetisch und rührend gesprochen, können uns in eine pathetische, rührende, heldenhafte Stimmung versetzen. So mächtig ist auch die rein akustische Wirkung des Gehörten.

§ 10. Das rein Akustische befindet sich eigentlich außerhalb des streng sprachlichen Denkens. Nebenbei haben wir das eigenartige sprachliche Wissen, welches neben den ändern Arten des Wissens, neben dem wissenschaftlichen, analytischen Wissen und neben dem künstlerischen, artistischen Anschauungswissen in unserer Psyche entsteht und wirkt. In diesem sprachlichen Wissen widerspiegelt sich der menschliche Egozentrismus, widerspiegelt sich, die menschliche Megalomanie. Die Sprache befindet sich, in der Mitte, in Zentrum unseres geistigen Lebens. Alles wird sprachlich. Durch sprachliche Gebilde wird alles übrige verdunkelt. Die Welt existiert in menschlicher Seele als ein Wörterbuch oder vielmehr als viele verschiedensprachige Wörterbücher.

Kritiklose Weltgeschichte wird mit Wörtern geschrieben und verursacht eine dem entsprechende Weltanschauung und Stimmung. Um desto mehr werden Begriffe mit Wörtern ersetzt im Religionsunterricht, in Katechismen und in der sogenannten heiligen Geschichte. Als Folge davon bekommen wir Menschenhaß und eine ihm entsprechende Stimmung den lieben Nächsten gegenüber.

Wie oft müssen wir den heißen Diskussionen beiwohnen, wo man ganze Völker und sonstige menschlichen Kollektive, die Juden, die Deutscheu, die Bussen, die Engländer, die Franzosen in Bausch und Bogen verherrlicht oder verdammt, ohne sich davon Rechenschaft zu geben, daß man eigentlich Unsinn schwatzt. Die angewandten Syllogismen sind zwar einwandsfrei, aber ihre Prämissen sind sinnlos. Man bekundet dabei eine sprachlich bedingte schiefe Weltanschauung und gerät in eine nichts weniger als lobenswerte Stimmung.

Als ein junger nicht französischer Gelehrter, der französisch, nicht einwandsfrei sprechen konnte, sich deswegen beim Pasteur, wenn ich nicht irre, entschuldigte, bemerkte ihm dieser Letztere: „Monsieur, parmi les gens de science il n’y a pas de mots, il y a des idées“. Leider, war diese Bemerkung Pasteur's zu optimistisch. Schon abgesehen davon, daß „eben wo Begriffe fehlen, da stellt das Wort zur rechten Zeit sich ein“ (Mefisto in Goethe's „Faust“), müssen wir sogar die reinsten, die abstraktesten Ideen in Wörter umwechseln, um sie unseren Mitmenschen mitzuteilen und zugänglich zu machen. Wie dem sagenhaften Midas alles, was er berührte, zum Gold wurde, ebenso muß alles dasjenige, was sich der Mensch denkt, im gesellschaftlichen Verkehr zur Sprache Zuflucht nehmen. Ebenso müssen die abstraktesten und die großartigsten Konzeptionen der höheren Mathematik schließlich in ganz gewöhnlichen Zahlen ausgedrückt werden, und diese gewöhnlichen Zahlen assoziieren sich mit den ihnen entsprechenden Wörtern.

 

§ 11. Das sprachliche Wissen begünstigt und stärkt den unserer Wettanschauung eigenen Dualismus, die Teilung der Welt in Stoff und Geist, die Hypothese einer vom Körper unabhängigen Seele, die sich in den Körper einverleibt und sich von ihm trennen kann, um weiter zu existieren. Das in unserem Inneren regierende und die äußere vorübergehende Hülle. Sehr oft ist die vage Vorstellung des Geistes und der Seele mit der Vorstellung des Wehens, des Windes assoziiert. Lateinische Wörter animus, anima sind doch dem griechischen ἄνεμος verwandt. Und spritus flat ubi vult. Dementsprechend sind in vielen Sprachen die Ausdrücke für „Geist“ und „Seele“ (duch, duša) derselben. Wurzel, wie diejenigen für „Atem“, „atmen“. Der Koeffizient der Wichtigkeit des Moments, wo der sterbende Mensch den letzten Atemzug von sich gibt, spielt dabei eine hervorragende Rolle.

 

§ 12. Die auf dem menschlichen Egozentrismus basierende Auffassung der Welt in der Form von Redeteilen, als Projektionen unserer Person in die Außenwelt, verleiht eine eigentümliche Färbung unserer Weltanschauung überhaupt. Substanzbegriff und Substanzgefühl, Merkmalbegriff und Merkmalgefühl oder Eigenschaftsbegriff und Eigenschaftsgefühl, Tätigkeits-, Werdens- und Geschehensbegriff und Tätigkeits-, Wer­dens- und Geschehensgefühl — alles dieses widerspiegelt sich in unserem sprachlichen Wissen und wird auch von diesem sprachlichen Wissen un­terstützt und gestärkt.

In der objektiven außermenschlichen Wirklichkeit läßt sich eine Gegenwart, ein tempus praesens keineswegs vorstellen. Dank dem Egozentrismus aber ist diese Vorstellung des Praesens in das sprachliche Denken eingedrungen und formell an die Spitze des verbalen Formsystems ge­treten. Das tempus praesens nimmt immer zu und wird zu einem tempus aeternum, mit Hinansetzung der Vergangenheit und der Zukunft.

Die sprachliche Anwendung der Hilfsverba in der Art von will (engl. will, dän. vil), soll (e. shall, dän. skal), muß, darf... steht mit der megalomanischen Einbildung des Menschen in einem Zusammenhang, er könne die Zukunft nach seinem Willen bestimmen oder mit seinem Pflichtgefühl beeinflussen.

 

§ 13. Egozentrisch veranlagter Mensch benutzt einzelne Teile seines Körpers zum Messen der physischen Welt und einverleibt dieses Verfahren in sprachliche Ausdrücke: Daumen, Elle, Fuß, Handstrecke, Händvoll u. a. Verschiedene Zahlsysteme sind als Resultate des Zählens der Finger an unseren Händen und der Zehen an unseren Füßen entstanden. Nur den zehn Fingern unserer beiden Hände verdanken wir, daß wir Jubiläen feiern, und daß uns das Ende und der Anfang eines Jahrhunderts in eine feierliche und gruselige Stimmung versetzt.

Wir haben das Recht zu vermuten, daß die Verschiedenheit des morphologischen Baues der Sprachen nicht ohne einen gewissen Einfluß auf die' Weltanschauung der Träger der betreffenden Sprachen bleibt. In einigen Sprachen erscheint schon das Wort als ein unveränderliches Ganzes, während in anderen Sprachen auch der Satz, in Hinsicht auf die Ordnung seiner Teile, als etwas Festes und Unveränderliches gelten muß, ganz unabhängig von der Stimmung des Sprechenden und von jedesmaliger Hervorhebung einzelner Worte.

 

§ 14. Die Verschiedenheit in der Anrede beim sprachlichen Verkehr, eine verhältnismäßige Einfachheit oder Umständlichkeit in der Art und Weise dieser Anrede kann bis zu einem gewissen Grad mit der Stufe des demokratischen Gefühls der bürgerlichen Gleichheit oder des aristokratischen Gefühls der bürgerlichen Ungleichheit zusammenhängen. Erwähnen wir das altindische, griechische, römische, türkische u. s. w. „du“, das anderen Völkern eigene „ihr“, dann eine Anrede in der 3-en Person, sei es im Singular, sei es im Plural, die Anwendung besonderer ausgesuchter Höflichkeitsausdrücke, wie „Herr“, „Euer Hochwürden“, altindisch bhavan..., ital. signoria vostra, span. usted, poln. pan, waszmosc u. ä..., in den neuen Zeiten, unter dem Einfluß der sozialen Klassengegensätze, „Bürger“, „citoyen“, „Genosse“ u. a..., dies alles verleiht dem gesellschaftlichen Verkehr eine verhältnismäßige Geläufigheit oder Steifheit, was auch bis zu einem gewissen Grad Änderungen in der Stimmung nach sich ziehen kann.

Es sei auch die verschiedene Art und Weise des Pluralis Majestatis und der an die Gottheiten gerichteten Anrede erwähnt, sei es mit „du“, sei es mit „ihr“.

 

§ 15. Da eben mit den Wortganzen außersprachliche Vorstellungen, Bedeutungsvorstellungen assoziiert werden, machen viele Worte einen besonders starken Eindruck und rufen eine besonders aufgeregte Stimmung hervor. Gebetformeln, Flüche, Segenswünsche, Zaubersprüche, Beschwörungen... einige von ihnen wirken beruhigend, andere aufregend; einige erfüllen uns mit Freude, andere wieder mit Angst und Greuel.

Es existiert auch ein ausgesprochener Wortfanatismus. Im Namen besonders klingender Worte hat man Ströme von Blut vergossen, ungeheuere Massen von Kulturschätzen vernichtet, grenzenloses Elend verursacht. Gulliver's Liliputen haben langwährende Kriege geführt, um zu entscheiden, ob man das Ei an dem schmaleren oder breiteren Ende zerschlagen soll. Viele unseren Kriege wurden unter ebenso wichtigen Losungsworten geführt. Beim Hören einiger Namen, wie z. B. „Goi“, „Jude“, „Heretiker“, „Masson“, „Atheist“, „Nihilist“, „Sozialist“, „Kommunist“, „Bolschewik“, „Bourgeois“... geraten schwachdenkende, aber heißfühlende Individuen in eine feindliche Stimmung und unter dem Einfluß dieser Stimmung ziehen sie weitgehende Schlußfolgerungen, nicht nur in der Richtung des Denkens und Sprechens, sondern auch in der Richtung des Handelns, indem sie darnach trachten, solche Feinde des menschlichen Geschlechtes oder der eigenen Partei auszurotten und zu vernichten.

Gewisse Worte wirken nicht nur auf die mit Sprache begabten Men­schen, sondern auf einige Tiere. So z. B. geraten kleinere Hunde beim Hören des Namens der von ihnen gehassten größeren Hunde in einen aufgeregten Zustand, verraten Angst, und bellen aus allen Kräften. Das Wort also wirkt nicht nur auf den es menschlich verstehenden Menschen, sondern auch auf das vierfüßige Geschöpf, wenn der Klang des Gehörten ihm die Erinnerung seines Feindes ins Gedächtnis ruft.

 

§ 16. Die Macht des Wortes ist so groß, daß das Wort zum Leib wurde und unter uns weilte. Das Wort des beim Gottesdienst fungierenden Priesters verwandelt ein Stück Brot oder eine Oblate in Leib und Blut Gottes (Christi). Und nach der katholischen Lehre ist ein die heilige Messe zelebrierender Priester mächtiger als Gott selbst; denn, wenn er Gott ruft, darf Gott es ihm nicht versagen und muß sich in die dazu bestimmte Oblate einverleiben.

Die Macht der Rede, die Macht des Wortes ist auch in den alten Rig-Veda-Hymnen ausdrücklich anerkannt. Das Wort des Gebets gleicht einem lebendigen Opfer. Worte haben Wert. Ein Geldpapierstück wird zum Gold oder mindestens zum Silber.

 

§ 17. Bekanntlich haben wir in jeder natürlichen Sprache Eegeln und Ausnahmen, d. h. typische Gruppierungen und individuelle Abweichungen. Dieser Unterschied läßt sich historisch (geschichtlich) erklären. Die sogenannten Ausnahmen sind entweder Überbleibsel (survivals) früherer typischen Gruppierungen oder, obgleich viel seltener, Vorläufer der Zukunft. Solche individuelle oder nur sehr schwach gruppierte Formen, wie z. B. Pronomina Personalia, sehr häufig gebrauchte Substantiva, Verba u. ä., bilden so zu sagen eine Leibgarde des menschlichen „ich“, indem sie es den reihenweise und gruppenweise geordneten Typen des sprachlichen Denkens gegenüberstellen.

In den sogenannten flektierenden Sprachen assoziieren sich einzelne phonetisch-morphologischen Elemente mit mehreren formalen Vorstellungen auf einmal. Eine und dieselbe Endung assoziiert sich gleichzeitig mit der Vorstellung eines gewissen Casus, eines gewissen Numerus und dazu noch eines gewissen Genus. Andererseits wechseln einige Endungen mit ihren synonimischen gleichwertigen Elementen. Alles dies verursacht, wenn nicht einen Chaos, so wenigstens eine Verworrenheit, weit entfernt von der sprachlichen Nüchternheit. Eine wahre Nüchternheit bietet uns die streng durchgeführte Agglutination dar. Diese Nüchternheit wird noch dadurch gestärkt, daß, einerseits, den sogenannten agglutinierenden Sprachen die Vorstellung des grammatischen Genus fremd ist, andererseits aber alle ihre formalen Exponenten nur auf einer Seite der Wurzel sich befinden, entweder vor der Wurzel, oder nach der Wurzel, was bei weitem viel häufiger vorkommt. Die sprachliche Aufmerksamkeit also braucht sich nicht zu zerstreuen, während bei der Flexion unsere Aufmerksamkeit in drei Richtungen hin arbeiten muß: sie richtet sich gegen das Ende des Wortes (Endungen), gegen den Anfang des Wortes (Praepositionen) und schließlich gegen das Innere des Stammes (psychophonetische, morphologisierte Alternationen).

Es ist also klar, daß agglutinierende Sprachen eine viel nüchternere Weltanschauung begünstigen, als die flektierenden Sprachen. Mit einer nüchternen Weltanschauung ist, eine ruhige, eine beruhigende, mit der verworrenen Weltanschauung aber eine beunruhigende Stimmung verbunden, eine Stimmung der Unzufriedenheit.    

 

§18. Von dieser Verworrenheit und Unzufriedenheit wollte man die sogenannten künstlichen Weltsprachen frei machen; darum erinnern die hervorragendsten künstlichen Sprachen, Esperanto, Ido u. ä., viel mehr an agglutinierende als an flektierende Sprachen.

Die Erfinder und Vervollkommner künstlicher Weltsprachen streben auch daran, den allen natürlichen Sprachen eigentümlichen Homonymismus und Synonymismus zu vermeiden und die das direkte Verständnis störende Vieldeutigkeit mit einer konsequenten Eindeutigkeit zu ersetzen.

Je mehr Homonymität und Synonymität in einer Sprache vorkommt, desto mehr ist man genötigt, den genauen Sinn sprachlicher Elemente erst mit Hilfe des Kontextes, sei es des syntaktischen, des Reihenkontextes, sei es wieder des paradigmatischen, des Gruppenkontextes, zu bestimmen. Dabei muß man beständig so zu sagen à la qui vive sein. Man hat viele gleichlautende und gleichgeschriebene Worte, man hat viele phonetisch und graphisch identischen Morpheme (morphologische Elemente), die mit ganz verschiedenen semantischen und morphologischen Vorstellungen assoziiert werden.

Aus dem Deutschen kann ich aufgeratewohl anfuhren: weiß, stand, sein, meine, füllen... los | loos, mehr | Meer...

Je länger eine Sprache existiert, desto mehr besitzt sie solche Homonyme und nebenbei Synonyme.

Im Englischen steigt die Zahl der Homonyme ungeimein infolge dessen, daß eine ganze Reihe gleichlautender phonetischer und gleichgeschriebener graphischer Komplexe, je nach dem, entweder als Verba, oder als Nomina (Substantiva und Adjektiva) fungieren können. Ein präfigiertes to oder Pronomen Personale verleiht ihnen einen verbalen Charakter, während ein präfigiertes the oder a, an sie zu Substantiven stempelt. (O. Jespersen Growth and Structure, §§ 163—164—171).

 

§ 19. Einige Eigentümlichkeiten des sprachlichen Denkens und seiner Offenbarung und seines Vernehmens stehen im Zusammenhang mit dem quantitativen Denken, d. h. demjenigen Denken, welchem man die Mathematik und alle die Wissenszweige verdankt, welche sich mit der Erfassung und Erforschung der mit den räumlichen und zeitlichen Kategorien, mit den Dimensionen und mit dem physischen Tempus verbundenen Phänomena beschäftigen. Die Anwendung des quantitativen Denkens im sprachlichen Denken finden wir in der Phonetik, in der Morphologie, in der Semantik.

 In der Phonetik oder Lautlehre gehört hierher alles dasjenige, was mit der Silbenquantität, mit der Betonung, mit dem Akzent, mit der Intonation, mit der Silbenzahl im Wort u. s. w. zu tun hat.

In der Morphologie tragen an sich einen, ausgesprochenen quantitativen Charakter: formale Unterschiede der Deminutiva, der Demajorativa, Bezeichnung der Zahl in der Deklination, Unterscheidung der Collectiva, Steigerung der Adjektiva, eine besondere Deklination der Numeralia, welche sich in einigen Sprachen, z. B. in der jetzigen polnischen Sprache, von anderen Deklinationsklassen unterscheidet; die Bezeichnung der Dauer und der Wiederholung der Handlung auf dem verbalen Gebiet.

Auch die mit der Ordnung und dem Nacheinanderfolgen der Syntagme, d. h. Worte als Elemente des Satzes, und der Morpheme als Elemente des ganzen Wortes verbundenen Fragen lassen sich unter den Begriff des quantitativen Denkens unterordnen.

 

*  *  *

 

§ 20. In dem ersten Vortrag habe ich über den Zusammenhang der Weltanschauung und Stimmung mit der Sprache im eigenen Sinne des Wortes gesprochen, d. h. mit der phonetisch-akustischen Sprache. Aber neben der phonetisch-akustischen Sprache, d. h. neben der Sprache im eigentlichen Sinne des Wortes, haben wir, als Resultat des Kulturlebens, die graphisch-optische Sprache, d. h. die Schrift, das Schriftwesen.

Die Schrift kann ebenfalls auf die Weltanschauung, auf die Befähigung und auf die Stimmung des schreibenden und lesenden Menschen einen gewis­sen Einfluß ausüben, ähnlich dem Einfluß, welchen wir nach so vielen Richtungen in der gesprochenen und gehörten Sprache beobachten können.

Berühren wir vor allem den Unterschied der Psyche eines Alphabeten, d. h. eines Schreibenden und Lesenden, und eines Analphabeten.

Die Erlernung der Schrift schwächt das Gedächtnis im Gebiet des akustisch Vernommenen und akustisch Übertragenen. Das Gedächtnis der Schriftkundigen würde nie im stände sein, die Überlieferung solcher langen Erzeugnisse des Volksepos mit Hilfe des Gehörs allein zu sichern, wie es z. B. russische Byliny (wenn man sie auch, nach Rożniecki's Forschungen, für eine Slawisierung skandinavischer Sagen hält) oder serbische Heldengedichte sind. Das Gedächtnis der Schriftkundigen nimmt ab und kann die Hilfe des Schreibens und Lesens nicht mehr entbehren.

Dann ist die Objektivisierung sprachlicher Gebilde, d. h. des sprachlich Gedachten und Gesprochenen, bei den Analphabeten eine andere, als bei den Schriftkundigen. Ich z. B. gehöre zu den Schriftkundigen und, wenn ich mir etwas sprachlich Gedachtes in der physischen Welt vorstellen will, so sehe ich es vor meinen Augen, in der Gestalt geschriebener Worte und Phrasen. Wie ich es mir in meiner Kindheit, noch vor der Aneignung der Schrift, vorstellte, kann ich mich nicht mehr erinnern. Höchstwahrscheinlich machte ich keine Versuche in dieser Richtung.

Im Zusammenhang mit dieser Präge sei noch darauf aufmerksam gemacht,  daß,  indem Gesichtshalluzinationen zu ganz gewöhnlichen Erscheinungen gehören, Gehörshalluzinationen viel seltener vorkommen.

 

§ 21. Was den sonstigen Einfluß der Schrift auf unsere Weltanschauung und Stimmung betrifft, so muß man vor allem zwei Arten der bei verschiedenen Völkern üblichen Schrift unterscheiden:

1) eine Schrift, die in einem mehr oder weniger innigen Zusammenhang mit der phonetisch-akustischen Seite der Sprache steht,

2) eine Schrift, die sich mit den außersprachlichen Vorstellungen, mit den Vorstellungen der Außenwelt direkt assoziiert.

Der Einfluß dieser zweiten Schriftart, der Einfluß der Ideographie, der Einfluß der ägyptischen Hieroglyphe, der chinesischen Schrift u. ä., auf die menschliche Psychik muß anders vor sich gehen, als der Einfluß solcher Alphabete, welche bei den meisten Völkern üblich waren und üblich sind.

Jede ideographische Schrift kann eigentlich in jeder beliebigen Sprache gelesen werden, während unsere gewöhnliche Schrift vor allem ein bestimmtes phonetisch-akustisches sprachliches Denken in Bewegung setzen muß.

 

§ 22. Die einfachsten Elemente der Schriftsprache entsprechen gar nicht den einfachsten Elementen der Lautsprache. Als einfachste Schriftelemente erscheinen in der Regel Grapheme, d. h. Buchstabenvorstellungen, oder sogar Silbenvorstellungen, während sich die ihnen im ganzen Großen entsprechenden Phoneme, d. h. Lautvorstellungen, in noch einfachere phonetische und akustische psychisch bedingte Elemente zerlegen lassen. Ein Buchstabe oder sogar ein Buchstabenkomplex bildet, im Verhältnis zur phonetisch-akustischen sprachlichen Welt, eine unteilbare Einheit, die sich als solche mit jedem phonetisch-akustischen Element des Phonems und mit dem einheitlichen Ganzen dieses Phonems assoziiert.

In der Orthographie unserer Schriftsprachen werden zwei Hauptprin­zipien angewandt: 1) Phonemographie, 2) Morphemographie.

Phonemographie bedeutet eine einseitige ausschließlich phonetische Schreibweise, ohne auf die Zerlegung des Satzes in Syntagme oder syntaktische Elemente und des Wortes in Morpheme, d. h. morphologische Elemente, Rücksicht zu nehmen. Bei der Morphemographie dagegen wird die psychische Verwandtschaft, d. h. Ähnlichkeitsassoziation des Satzes mit anderen Sätzen und des Wortes mit anderen Worten berücksichtigt.

Die grammatisch geregelte (normierte) Schreibweise der altindischen Sprache bietet uns klassisches Beispiel einer einseitiger Phonemographie. In den Rig-Veda-Texten haben wir neben dieser phonemographischen Schreibweise, d. h. neben dem Sanhita-Text, ein nebenstehendes Wortkommentar, Pada-Text, wo einzelne Worte aus dem Satz, und einzelne Komponenten aus den Kompositis, annäherend nach europäischer Weise ausgeschieden und als besondere Ganze geschrieben werden. Da haben wir bloß eine Anwendung der Syntagmographie, während die eigentliche Morphemographie im engeren Sinne des Wortes, d. h. die Teilung des Wortes in etymologisch zu bestimmenden Morpheme, bei der Schreibung unberücksichtigt bleibt. Der altindischen Orthographie sind solche Schrei­bungen, wie z. B. deutsche schreibt (mit b, weil schreiben), gestrebt (mit b,  weil streben), ragt (mit g, weil ragen), Tod (mit d, weil Todes), Sieb (mit b, weil Siebe)..., neben Stock (mit ck, weil Stockes), Lump (mit p, weil Lumpes), steckt (mit ck, weil stecken)..., poln. sad (mit d, weil sadu), róg (mit g, weil rogu), grób (mit b, weil grobu)..., neben kot (mit t, weil kota), rok (mit k, weil roku), chłop (mit p, weil chłopa)..., ganz fremd. Im Innern des Wortes herrscht da einzig und allein eine rücksichtslose Phonemographie.

Einer einseitigen Phonemographie begegnet man in der altkirchenslawischen Schreibung, obgleich nicht so konsequent durchgeführt.

 

§ 23. Eine einseitig angewandte phonemographische Schreibung stimmt mit der Gewöhnung unseres Denkens an den Monismus und Monoprinzipismus uberein, während sich in der Anwendung der Morphemographie neben der Phonemographie die Tendenz nach Durchführung des Dualismus oder sogar des Polyprinzipismus wiederspiegelt.

Einem orthographischen Polyprinzipismus begegnet man besonders im Schriftwesen derjenigen Volker, deren Orthographie (Rechtschreibung) aus älteren Zeiten stammt und fremdsprachigen Schreibweisen angepaßt wurde, während ihre phonetisch-akustische Seite sich nach und nach sehr stark verändert hatte.

Das ist z. B. der Fall mit der französischen Orthographie, aber am weitesten ist orthographischer Polyprinzipismus in der englischen geschriebenen Sprache vorgeschritten. Da hat man neben der unumgänglichen Anwendung des Prinzips der Phonemographie und ziemlich schwacher Morphemographie sammt bestimmter Syntagmographie, fortwährend auftauchende Erinnerungen an die Vergangenheit der Sprache, an das nicht mehr Überlieferte, aber Gewesene, sei es in der altenglischen Sprache selbst, sei es in den fremden Sprachen, die die englische Sprache beein­flußten. Wie man für die in einem Lande zeitweilig wohnenden Ausländer besondere persönliche Dokumente einführt, um sie von den Heimischen oder Inländern zu unterscheiden, ebenso zeichnet man mit besonderer Schreibung diejenigen Wörter, die dem Engländer als Fremdwörter oder Lehnworter gelten. Dazu dient u. a. die Unterscheidung der Buchstaben k und c, verschiedene Aussprache der Verbindungen gi, ge u. s. w. Die Stempelung der wirklichen oder nur angeblichen sprachlichen Ankömmlinge mit einer nur für sie bestimmten Schreibweise findet man auch wo anders (z. B. in der französischen, in der deutschen, in der čechischen, in der polnischen Orthographie), aber wohl nirgends ist sie in solchem Masse angewandt, wie gerade bei den Engländern.

Sonst müssen beim Lesen englischer geschriebener (und gedruckten) Texte, wenn man die Vorstellungen des Gesehenen mit den außersprachlichen Vorstellungen, d. h. mit den Bedeutungvorstellungen, assoziiert unsere beiden intellektuellen Sinne gleichzeitig arbeiten. Außersprachliche Vorstellungen assoziieren sich teilweise mit dem Gesehenen direkt, ohne Vermittelung des Gesprochenen oder als Gesprochenes gedachten, teilweise aber brauchen sie diese akustische Vermittelung. Es erinnert also die englische Orthographie bis zu einem gewissen Grad an ideographische und hieroglyphische Schriftsysteme.

 

§ 24. Man hat zwar auch in allen anderen Schriftweisen eine gewisse Art Ideographie. Es gehören dazu vor allem Interpunktionszeichen, Wortpausen, Abschnitte, Unterstreichungen der Buchstaben nach ihrer Größe und Stärke u. ä.; diejenige Art der Ideographie aber, welche die englische Sprache charakterisiert, nämlich daß man die Vorstellungen gesehener Worte, ohne Vermittelung des Gehörten, mit den außersprachlichen Vorstellungen direkt assoziiert, kommt wohl selten vor.

Der Unterschied in der Schreibweise soll höchstwahrscheinlich in einem Zusammenhang mit den Weltanschauungen der betreffenden Völker stehen. In welcher Weise aber sich dieser Zusammenhang verwirklicht, wage ich nicht zu bestimmen.

Ich erlaube mir nur zu bemerken, daß man bei der englischen Schreibweise z. B. gezwungen ist, gleichzeitig in verschiedenen Richtungen mit dem Denken zu arbeiten, und das muß wohl unser Denken schärfen. Wie die von den Augen, so auch die von den Ohren stammenden Eindrücke sammt sonstigen mit ihnen verbundenen Assoziationen erwachen auf einmal.

 

§ 25. Es wird unsere Weltanschauung und teilweise auch Stimmung von derjenigen Orthographie anders beeinflußt, in welcher von der Seite der Assoziationen mit dem Gesprochenen fast alles klar bestimmt ist, anders aber von der Orthographie, in welcher dies oder jenes gar nicht schriftlich ausgedrückt, sondern der Enträtselungsgabe (Divinationsgabe) des Lesenden überlassen wird.

So hat man in den semitischen Schreibweisen urspünglich nur Konsonanten schriftlich symbolisiert, die Ergänzung aber mit Vokalen, d. h, mit allen silbebildenden zusammengesetzten Sprechelementen, hing von der größeren oder geringeren Divinationsgabe des Lesenden ab. Dieselbe Methode wendet man manchmal in europäischen Lesebüchern an (z. B. in Polen), wenn man nur konsonantische Buchstaben drucken läßt und Vokalzeichen mit Punkten ersetzt. Sache des Scharfsinns des Lernenden ist es, fehlende Vokalzeichen zu erraten.

Die meisten Orthographien bezeichnen weder die den gesprochenen Worten betreffender Sprachen eigene Betonung (Ictus, Akzent), noch das in der verschiedenartigen Intonation steckende singende Sprachelement, noch schließlich verschiedene Quantität (Länge oder Kürze) der Vokale, in einem Wort alle die von der Tätigkeit der Stimmbänder im Kehlkopf abhängigen quantitativen Elemente des menschlichen Sprechens. Um ein deutsches, französisches, englisches, dänisches, russisches, serbokroatisches, slovenisches, litauisches, lettisches etc. geschriebenes Wort richtig auszusprechen, muß man es vor allem verstehen. Der Einheimische findet sich ohne besondere Mühe herein. Dem Fremden aber fällt dies viel schwieriger auf.

Nicht alle Völker sind so altruistisch, wie die Magyaren, Čechen und Slovaken, welche auf die Länge ihrer Vokale mit einem besonderen diakritischen Zeichen hinweisen; und da ihre Betonung an die erste Silbe des Wortes gebunden ist, so kann auch der Fremde die geschriebene magyarische, čechische und slovakische Sprache beim Lesen annährend richtig wiedergeben.

Die Polen sind dabei in einer glücklichen Lage. Ihrer Aussprache und ihrem sprachlichen Denken sind alle die oben erwähnten quantitativen Kehlkopfsunterschiede vollkommen fremd, und da außerdem ihre Betonung keine morphologische Rolle in besonderen Wörtern spielt, d. h. keine Morpheme hervorhebt, sondern einzig und allein zur Satzphonetik gehört, indem sie einzelne mehr als einsilbige Syntagme von den anderen Syntagmen des Satzes mittels der Betonung der vorletzten Silbe (Penultima) unterscheidet, so erreichen sie ohne besondere orthographische Anstrengung den Ehrentitel der Altruisten, den anderssprachigen Leuten gegenüber.

Die Schreibweisen, in welchen einige wichtige Elemente der Aussprache der Enträtselunsgabe des Lesenden überlassen werden, müssen .die Enträtselungsgabe im allgemeinen stärken und den betreffenden zur Entzifferung von Worträtseln und Scharaden befähigen.

 

§ 26. Wenn man in der französischen, englischen, schwedischen, dänischen etc. geschriebenen Sprache vieles ausdrückt, was in der gesprochenen Sprache keinen Ausdruck findet, so spiegelt sich darin einigermaßen die Geschichte betreffender kollektiven Sprachen wider. Das französisch geschriebene est entsprach im Lateinischen der vollen Aussprache dieses Wortes, welches seinen konsonantischen Auslaut verlor, während die alte Schreibung auf dem Weg der schriftlichen Überlieferung (Tradition), nicht ohne Mithilfe der Satzphonetik, liaison, beibehalten wurde. Alle die genannten doppelten (d. h. einerseits gesprochenen, andererseits geschriebenen) Sprachen wimmeln von ähnlichen Beispielen.

Dabei sind einige ehemals ausgesprochenen Phoneme in der kollektiven zeitlich fortgesetzten Sprache entweder vollständig verschwunden, d. h. sie werden von den späteren Generationen nicht mehr reproduziert, oder sie leben noch fakultativ. Sie existieren zwar in der Schatzkammer des sprachlichen Denkens als morphologisierte phonetisch-akustische Vorstellungen, aber ihr akustisches Zumvorscheinkommen während des sprachlichen Verkehrs ist fakultativ: bei einem energischen Sprechen werden sie ausgesprochen und gehört, bei einem nachlässigen Sprechen aber sind sie zu schwach, um die Peripherie des Sprechapparats zu erreichen und in die den Sprechenden und Hörenden umgebende physische Welt zu geraten.

Solche Fakultativität bemerkt man auch in anderen Sprachen, die dem historischen Prinzip der Orthographie nur in einem geringen Masse Rechnung tragen und sich hauptsächlich mit der Phonemographie und Morphemographie vom Standpunkt der jetzigen Aussprache begnügen. Wenn man z. B. die polnischen geschriebenen Wörter jabłko, szedł, rzekł, garnka, ziarnko… entweder als japko, šet, žek garka, źarko... oder, in einem höheren Styl, als japłko, šetł, garnka, źarnko... ausspricht, so richtet man sich dabei vorwiegend nach dem jetzigen morphologischen Zusammenhang dieser Formen mit jabłek, szła, rzekła, garnek, ziarnek..., obgleich sich ebenso in der Schreibung, wie, auch in der mehr energischen feierlichen Aussprache der frühere Zustand der kollektiven polnischen Sprache reflektiert.

Eine historisch angestrichene Schreibweise stärkt den historischen Sinn betreffender Individuen, selbstverständlich wenn man sie auf diese geschichtliche, historische Seite ihrer Orthographie aufmerksam macht.

Wenn man wieder vermittelst der Orthographie urheimische Elemente von den fremden Ankömmlingen unterscheiden will, erinnert man an gegenseitige Beziehungen ebenso der Nachbarvölker, wie auch derjenigen Völker, die in verschiedenen Zeiten kulturell von einander abhängig waren.

Es sind zwar ebenso bei der Anwendung des historischen Prinzips, wie auch bei der Anwendung des Prinzips der Unterscheidung beim Schreiben heimischer und fremder Elemente der Sprache, Mißverständnisse und falsche Vermutungen möglich, die beiden Prinzipien aber bleiben als solche unangetastet.

 

§ 27. Dann ist der mächtige Einfluß der Schrift auf Gruppierungen der Völker und Nationalitäten hervorzuheben.

Die alte hebräische Schrift der Juden, welche sie zur schriftlichen Wiedergabe ihrer deutschen (respektive spanischer) Mundart angepaßt haben, wobei man nicht nur ganz eigenartiger Gestalt der Buchstaben, sondern auch der Schreibung in entgegengesetzter Richtung (von rechts nach links) begegnet, stärkt ungemein da| nationale Bewußtsein der Juden, im Unterschied von anderen Völkern, selbstverständlich in Vereinigung mit anderen charakteristischen Zügen des Judentums.

Verschiedenheit der Schrift kann überhaupt mit der Verschiedenheit der Konfession (des Bekentnisses) im Zusammenhang stehen. Die slawische Sprachenwelt zerfällt in zwei Teile, je nach dem sie bei ihrer Christianisierung einerseits von Rom, andererseits von Konstantinopel abhängig waren. So zerfällt auch das sprachlich einheitliche Volk der Serbo-Kroaten in zwei Nationalitäten, Kroaten römischkatholischer Konfession und mit lateinischer Schrift und Serben griechisch-orthodoxer Konfession und mit kyrillischer Schrift.

 

§ 28. In den Schriftsystemen, welche auf dem Prinzip der Phonemographie, verbunden mit Morphemographie, basieren, beeinflußt der Parallelismus   oder   Nicht-Parallelismus   zwischen   Schriftreihen  und   Lautreihen, zwischen  der Graphemenverbindungen und Phonemenverbindungen die menschliche Denkweise überhaupt.

So finden z. B. in der russischen Phonemographie gewisse Eigentümlichkeiten der Konsonanten   ihre   graphische   Symbolisation   nicht   in   den ihnen hauptsächlich entsprechenden Graphemen, sondern erst in den ihnen folgenden  Vokalzeichen   oder   Surrogaten   derselben.   In  den  russischen Buchstabenverbindungen ба/бя,  ту/тю, сэ/се, пъ/пь, лъ/ль, лы/ли... sind Konsonantenzeichen gleich und Vokalzeichen verschieden, während man in der Aussprache ein entgegensetztes Verhältnis konstatiert: Konsonanten sind verschieden und die ihnen folgenden Vokale (Vokalnull Inbegriffen: лъ/ль, пъ/пь...) gleich.

Ein solcher schiefer Parallelismus führt zur Verwechslung (Mischung) der Begriffe, zur Verwechslung der Buchstaben mit den Sprachlauten, zur Verwechslung der Grapheme mit den Phonemen. Man spricht von „weichen“ Vokalen ja, ju, je, ji od. ä., im Unterschied von „harten“ a, u, e, y...

Ähnliche Verwechslung findet man auch in der ukrainischen (kleinrussischen), in der weißrussischen, in der bulgarischen Phonemographie und, bei der Anwendung des lateinischen Alphabets, in der polnischen, slovakischen und čechischen Orthographie...

Einem vollständigen Parallelismus des Geschriebenen mit dem Gespro­chenen begegnet man in der serbischen und kroatischen Orthographie, ganz unabhängig davon, ob man sich des kyrillischen (russischen) oder des lateinischen Alphabets bedient.

An den russischen Mangel des graphisch-phonetischen Parallelismus in der Phonemographie erinnert die französische, italienische und überhaupt neuromanische, dann die englische und sogar frühere deutsche Unterscheidung der Aussprache graphischer Verbindungen,

einerseits ca co cu, ga go gu...

andererseits ce ci..., ge gi...

(fr. que qui, gue gui..., ça ço çu... ja jo...);

(it. che chi... cia cio ciu...

ghe ghi... gia gio giu...).

Die Verwechslung der Buchstaben mit den Lauten u. ä. kann mit den anderen Verwechslungen (mit den Verwechslungen in anderen Gebieten des menschlichen Denkens, z. B. der Konfession mit der Nationalität, mit Staatsangehörigkeit und mit der Schätzung des individuellen Wertes) Hand in Hand gehen.

 

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§ 29. Wie es mir scheint, läßt sich der Einfluß der Eigenart der gegebenen Sprache auf ihre Behandlung seitens der heimischen Grammatiker kaum leugnen.

So wurde z. B. die meisterhafte Durchmusterung, Beschreibung und Ordnung der altindischen Phoneme durch die Natur der phonetischen Seite dieser Sprache in hohem Grad begünstigt.

Die jetzt in der allgemeinen (deskriptiven, experimentalen, instrumentalen) Phonetik herrschende Theorie der Vokale (Vokallehre), die seine Herkunft  den  englischen  und  skandinavischen  Phonetikern  verdankt, hängt mit der ganz eigentümlichen Art und Weise der Aussprache englischer und skandinavischer, in erster Reihe dänischer, Vokale zusammen.

Eigenartige Auffassung des Unterschiedes der Konsonanten und Vokale, eigenartige Anwendung der Termini „hart“ und „weich“, eigenartige Scheidung der Redeteilc, eigenartige Teilung der Sätze in ihre syntaktischen Elemente, der Worte aber in ihre morphologischen Elemente, eine größere oder kleinere Befähigung sprachliche Ganze in ihre psychisch lebenden Teile zu zerlegen u. ä., alles dieses wurzelt bis zu einem gewissen Grad in der eigenartigen Beschaffenheit einzelner Sprachen, welche als Muttersprachen das sprachliche Denken der Forscher vorwiegend beeinflussen. Darin widerspiegelt sich der Einfluß nationaler Zugehörigkeit des Gelehrten auf seine wissenschaftliche Weltanschauung.

Grammatische Systeme der Indier, der Griechen und Römer, der Hebräer und Araber, der Japanesen, der Chinesen fallen verschiedenartig aus, weil in dem von ihnen untersuchten sprachlichen Stoff andere Leitideen, andere Leitvorstellungen maßgebend sind.

Neben den allgemeinmenschlichen Grundlagen des Denkens, neben der allgemeinmenschlichen Logik und Erkenntnislehre spielt dabei auch das Nationale eine gewisse Rolle.

An die Spitze ihrer grammatischen Paradigmen stellen die Inder entweder einen Nominalstamm, oder eine verbale Wurzel, die Griechen dagegen, die Römer und die übrigen Europäer benutzen als Stichworte in ihren Grammatiken und Wortverzeichnissen fertige Hauptsyntagme, welche als Hauptwortformen, als privilegierte Formen im Satz fungieren: Nom. s. beim Substantiv, N. s. m. beim Adjektiv, l s. Praes. Indikativi oder Infinitiv beim Verbum. Es spiegelt sich darin eine größere Spannung des den Europäern eigenen Egozentrismus und Subjektivismus.

In dem griechischen und römischen ebenso sprachlichen wie auch sprachwissenschaftlichen Denken dominiert die syntaktische Gliederung des Satzes in Syntagme, d. h. in Wörter als Bestandteile des Satzes, in dem indischen sprachlichen und sprachwissenschaftlichen Denken dagegen die morphologische Gliederung des Wortes in Morpheme, als morphologische Bestandteile des Wortes.

 

§ 30. Die indischen Grammatiker haben eine musterhafte und meisterhafte, von den Europäern bis jetzt noch nicht vollständig erreichte Analyse der Worte, als ganze, und ihre Zergliederung in Morpheme getrieben, während sich die griechischen und römischen Grammatiker mit der feinen Analyse des Satzes, und zwar unter dem starken Einfluß der Logik, aus­gezeichnet haben.

Mit   diesem  Unterschied  in   der  linguistischen  Weltanschauung  der genannten Völker hängt der Unterschied in der Richtung der morphologischen Assimilation oder der, nach dem veralteten Usus, so gennanten „Analogie“.

Im Einvernehmen mit den festgestellten historischen Änderungen in der phonetisch-akustischen Seite verschiedener arioeuropäischer Sprachen, d. h. im Einvernehmen mit den sogenannten „Lautgesetzen“, sollte man im Gebiet der Deklination

aind. (skr.) *vakas vacasas vacasi..., *ragas rajasas rajasi...,

  gr.    ἔπος   *ἔτεος > *ἔτους..., ἔρεβος   *ἔρεδεσος ≥ ἔρεδους..., im Gebiet der Konjugation aber

aind. *pakāmi pacasi pacati..., *sake sacate...,

gr.  λείπω  *λείτει..., ἔπομαι.  *ἔτεται...  erwarten.
Unterdessen glichen sich diese Stammunterschiede aus und wir haben:

aind. vacas vacasas..., rajas rajasas..., pacāmi pacati..., sace sacate...,

gr. ἔπος ἔπεος ≥ ἔπους..., ἔρεβος έρέβεος ≥ έρέβους..., λείπω λείπει…, ἔπομαι ἔπεται...

Im Griechischen gewannen die hervorragenden starken sprachlichen Individua Oberhand, während im Altindischen die statistische Macht, die größere Anzahl typischer Formen entschieden hat.

 

II

Verschiedene sprachliche Genera und ihr Zusammenhang mit der Weltanschauung und Stimmung betreffender Individuen und Völker.

 

§ 31. Nach dieser flüchtigen Hinweisung auf verschiedene Eigentümlichkeiten des sprachlichen Denkens, welche vermutlich unsere außersprachliche Weltanschauung und unsere Stimmung beeinflussen, gehe ich zum Hauptthema meiner Vorträge über. Es ist die Frage der Existenz sprachlicher Genera und des Einflusses, welchen dieser vielen Sprachen eigene Unterschied der Genera auf unser Gemüt und auf die intellektuelle Seite unserer Psyche ausüben kann.

Man erzählt, es gäbe in Schweiz Ortschaften, in welchen jeder Einwohner ohne Ausnahme mit Kropf ausgestattet ist. Der Kropf wird dort für einen so unumgänglichen Bestandteil des menschlichen Körpers gehalten, wie Hände, Beine, Schulter, Kopf mit seinem Zubehör, Nase, Augen, Mund etc. Einmal erschien in einem solchen Dorf ein Fremder, welchem dieser Schmuck fehlte. Ein Knabe bemerkte es und rief zu seiner Mutter: „Mama! unglücklicher Mann! er hat keinen Kröpf!“

Ganz ebenso könnte in den Augen der die mit dem Genusunterschied ausgestattenen Sprachen redenden Menschen gerade dieser Unterschied als eine unumgängliche Zugehörigkeit jeder Sprache, der Mangel dieses Unterschiedes aber als eine sprachliche Verstümmelung, als ein sprachliches Gebrechen gelten.

 

§ 32. Unterdessen, im Licht einer unbefangenen Betrachtung, erscheint die Genusunterscheidung als etwas Irrationelles und ganz Überflüssiges. Sie kann beinahe mit üblen Angewohnheiten, wie z. B. das Rauchen, oder mit Auswüchsen und Wucherungen verglichen werden, die an gewissen Organismen zum Vorschein kommen. Diese Unterscheidung zieht nach sich bekanntlich eine nichts weniger als erwünschte Belastung des Gedächtnisses. Warum soll ich mir merken, daß nach der deutschen Auffassung die Nummer, die Butter, die Mauer, die Wand... zu Femininen, der Käse aber, der Thee, der Kaffe, der Vorwand... zu Masculinen, der Band, der Verdienst ... ebenfalls zu Masculinen und das Band, das Verdienst... zu Neutren gehören müßen. Es ist weder mit einem außersprachlichen, sachlichen, noch mit einem sprachlich formalen Merkmale verbunden. Der rein historische Zufall spielt dabei ausschließliche Rolle.

Obgleich, unter einem anderen Winkel aufgefaßt, bieten auch dänische Substantiva Anlaß zu solcher irrationellen Unterscheidung. Es läßt sich zwar verstehen, warum barnet (Kind), lammet (Lamm)... Neutra, drengen (Knabe), pigen (Mädchen), hesten (Pferd), fisken (Fisch), myggen (Mücke)... Communia sind. Warum aber ablet (Apfel), brød (Brot), kød (Fleisch), huset (Haus), vœrelse (Zimmer), skib (Schiff), vindue (Fenster), bord (Tisch), lys (Licht), brev (Brief), ord (Wort), folk (Volk)... zu Neutris (intetkøn), pœre (Birne), made(n) (Speise), mœlken (Milch), kagen (Kuchen), skoven (Welt), vejen (Weg), staden, byen (Stadt), stolen (Stuhl), halen (Schwanz), bogen (Buch), kniven (Messer), ringen (Ring), hatten (Hut), stokken (Stock), pennen (Feder), saksen (Scheere), farven (Farbe), fliden (Fleiß), troskaben (Treue), mœngden (Menge)... zu Communibus (fœlleskøn) gehören, läßt sich wohl historisch erforschen und erklären, besitzt aber im jetzigen dänischen sprachlichen Denken keinen ausreichenden Grund.

 

§33. Und wir haben wirklich geschlechtlose (genuslose) Sprachen, deren Zahl die Zahl der mit der Genusunterscheidung belasteten Sprachen bei weitem übertrifft. Nur ist die Zahl menschlicher Individuen, die an die Unterscheidung der Genera in ihren Sprachen gewohnt sind, eine viel bedeutendere, weil zu den mit sprachlicher Genusunterscheidung belasteten gerade die am weitesten über der Erdoberfläche verbreiteten Völker gehören, nämlich die Arioeuropäer und Semiten.

Man begegnet wohl in einigen anderen Sprachen einer sprachlichen Bezeichnung von wirklichen Geschlechtsunterschieden (sexuellen Unteschieden) der Tierwelt. So soll z. B. die hottentotische Sprache einen besonderen sprachlichen Exponenten einer gewissen Tiergatung, ohne Unterschied des Geschlechtes, und daneben eine sprachliche Hinweisung auf männliche Merkmale und noch andere besitzen, die ganz ausdrücklich das weibliche Wesen bezeichnen. So z. B. ein Rindvieh im allgemeinen, und daneben ein Stier oder eine Kuh. Die Wurzel ist gemeinsam, und es gehören dazu besondere Suffixe, um die drei Geschlechter, Masculinum, Femininum und eigenartiges Neutrum oder Commune, zu bezeichnen. Aber diese Bezeichnung hält sich in den natürlichen Grenzen, ohne die lebende Tierwelt zu überschreiten.

 

§ 34. Wo man aber alle substantiellen Vorstellungen mit der obligatorischen Genusbezeichnung ausstattet, da führt man eine rein sprachliche mehr oder weniger willkürliche und zufällige Klassifikation dieser substantiellen Vorstellungen durch.

Die objektive Willkürlichkeit, die Zufälligkeit und der schwankende Charakter im Bereich der Genusunterscheidung wird, vor allem durch die in die Augen springende Tatsache bestätigt, daß in den diese Unterscheidung besitzenden Sprachen die Grenzen zwischen einzelnen Gebieten von Masc., Fem., und Neutr. verschieden ausfallen. Man konstatiert dialektische, mundartliche, einzelnsprachliche Unterschiede einerseits, im Verlauf der Geschichte aber Verschiebungen gegenseitiger Grenzen anderseits. Was in einer Sprache als Masc. erfaßt wird, kann in anderen Sprachen zum Fem. oder Neutr. gezählt werden. Beispiele: Wörter für Sonne, Mond, Tisch, Ofen, Mauer, Bein, Fuß, Schmerz u. s. w.

Es sind auch verschiedenartige Kombinationen möglich. Bald bemerkt man eine nähere formelle Verwandschaft zwischen Masc. und Fem., im Unterschied von Neutr.; bald reiht sich das Neutr. an Masc., während das Fem, eine ihnen gegenüberstehende Klasse bildet; bald gehen Fem, u. Neutr. Hand in Hand zusammen, indem sich das Masc. von ihnen formell unterscheidet. In einigen Sprachen haben wir nur zwei Genera, Masc. und Fem., während das Neutr. vollständig fehlt. Manchmal wieder unterscheidet man bloß das Neutr. vom Masc., während man dabei die Existenz einer besonderen Vorstellung des Fem. ignoriert.

Damit kann historische Tatsache zusammengestellt werden, daß das verschwindende Neutrum nur in seltenen Fällen im Femininum, in der Regel aber im Masculinum untergeht.

 

§ 35. Wenn man die arioeuropäische Sprachenwelt nach dieser Seite hin übersieht und gruppiert, kann man folgende Gruppierungen annehmen:

1) Das Altindische (Sanskrit), das Griechische, das Lateinische, das Altgermanische sammt dem Neuhochdeutschen, das Slawische, ... wo wir drei Genera nebeneinander beobachten (O. Franke: Die indischen Genusregeln (mit einem Anhang über die ind. Namen, Kiel 1890);

   2) Litauisch, Lettisch, Romanische Sprachen, mit zwei Genera, Masc. u. Fem., ohne Neutrum;
3) Skandinavische Sprachen (Schwedisch, Norwegisch, Dänisch), Englisch. Persönliches Genus, Masc. u. Fem., umfassend, Genus Commune (fœlleskøn) neben dem Neutrum (sachliches Genus) (intetkøn);

4) Armenisch — besitzt keine Genusunterscheidung.

Die Zusammenstellung und Vergleichung arioeuropäischer Sprachen in ihrem geographischen Nebeneinander und in ihrem chronologischen Nacheinander veranlaßt uns selbsverständlich die Genusunterscheidung schon dem arioeuropäischen Zustand zuzuschreiben. Dieser Auswuchs oder diese Wucherung am Körper der Sprache pflanzt sich auf dem Weg der sprachlichen Überlieferung bis in die spätesten Generationen bis in unsere Zeit fort. Es ändert sich zwar die Verteilung einzelner sprachlichen substanziellen Individuen unter Geschlechtsklassen, es wechseln Hauptleitmotive der Verteilung, aber die Hauptsache, d. h. die Tatsache der Geschlechtsunterscheidung bleibt bestehen. Sogar in der englischen Sprache, die sich von vielem Irrationellen und Überflüssigen frei gemacht hatte, finden wir deutliche Spuren der alten Genusunterscheidung.

Nur das Armenische, — insoweit man es zum arioeuropäischen Stamm zählen darf, — kennt keinen Geschlechtsunterschied der Substantiva.

Im Laufe der Zeit sind in einigen arioeurop. Sprachstämmen sprachliche Kinder, d. h. Neutra, erwachsen und reif geworden, d. h. sich auf diese oder jene Weise entweder in Masculina oder in Feminina verwandelt. Der erste Fall, d. h. die Maskulinisierung der Neutra, ist bei weitem häufiger.

Sonst wird überhaupt das Neutrum durch Femininum und weiter, sammt diesem letzteren, durch Masculinum, ebenso auf dem syntaktischen Boden, wie auch- im Laufe der Zeit, verschlungen.

 

§ 36. Das sprachliche Genus kann, im Grunde genommen, ein Merkmal Von Substanzvorstellungen, d. i. von Substantiven, sein. Wenn aber seine phonetisch-akustischen (respektive graphisch-optischen) Exponenten auch an bestimmenden Wörtern (Syntagmen) (an Adjectiven, an Pronominibus, an Artikeln) ausgedrückt werden, so geschieht dies nur in Folge der syntaktischen Kongruenz mit ihren syntaktischen Zentren, d. h. mit Substantiven. Аber gerade an Artikeln, wie der die das, le la, il lo la...) und an anderen syntaktisch angehängten bestimmenden Wörtern tritt das sprachliche Genus viel deutlicher zum Vorschein, als an den von ihnen bestimmten Hauptwörtern, wo er ziemlich oft im latenten Zustand schlummert.

Die eigentlichen persönlichen Pronomina, d. h. persönliche Pronomina des unmittelbaren sozialen Verkehrs, Pronomina der 1. und 2. Person, bleiben von dieser Eigentümlichkeit frei. Das menschliche ich und wir, das menschliche du und ihr sind immer gleich, ganz unabhängig davon, ob sie in einem männlichen, oder in einem weiblichen Wesen erwachen mobilisiert werden.

Ich kenne jedoch aus meiner dialektologischen Praxis einen Fall, wo man den Versuch der Unterscheidung der Männlichkeit von der Weiblichkeit in dem Pronomen l S. annehmen könnte. Bei den Resianern, d. h. bei einer Abart der Südslawen im Venetianischen (in Nord-Italien) drückten einige Männer und einige Frauen ihr „ich" mit anderen Lautkomplexen aus: Männer jaz, Weiber ja. Es war aber eine Unterscheidung so zu sagen im Keim, nicht allgemein üblich. Sonst gebrauchte man diese zwei Formen ohne auf den Unterschied des Geschlechtes sprechender Personen Rücksicht zu nehmen.

Die Art und Weise der Genusunterscheidung mittelst verschiedener Endungen der Hauptwörter (Substantive) variiert nach verschiedenen Gesichtspunkten.

Es gibt z. B. Fälle, wo Masculina und Feminina im Singular zusammenfallen und im Plural formell unterschieden werden. Z. B. polnisch im Singular ebenso kobieta „Weib“, siostra „Schwester“, żona „Frau“, ta sługa „diese Dienerin“... wie auch mężczyzna „Mann“, starosta, wojewoda, ten sługa „dieser Diener“..., aber im Plural einerseits kobiety, siostry, żony, te sługi... Feminina, anderseits aber mężczyźni, starostowie, wojewodowie, ci słudzy... Masculina.

 

§ 37. Wenn man vom Standpunkt der Geschlechtsunterscheidung (Genusunterscheidung) verschiedene mit dieser Eigentümlichkeit ausgestattete Sprachen mit unbefangenem Auge prüft, kann man dreiartige Geschlechter, drei Kategorien von Genera feststellen, wobei man sich immer mehr von dem physischen und natürlichen Ausgangspunkt (Unterlage) entfernt und sich den sozialen Verhältnissen nähert.

1) Die erste und am meisten verbreitete Art beruht auf der Sexualisierung des menschlichen Denkens. Als Leitidee, als Leitvorstellung (Leitmotiv) wirkt dabei die physiologische Tatsache der Sexusunterscheidung (Geschlechtsunterscheidung) in der Tier- und sogar in der Pflanzenwelt. Nachdem man auch die übrige nicht zur Biologie gehörende unorganische Substanzenwelt belebt und der organischen Welt im sprachlichen Denken assimiliert hatte, entstand die grammatische Unterscheidung des Masculinums und des Femininums und des sich auf den Mangel von Geschlechtszeichen stützenden Neutrums. Nach und nach können die sprachlichen Unmündigen und Kinder so zu sagen wachsen und sich in erwachsene mit einem bestimmten Geschlecht versehene Wesen verwandeln. Dieses bedeutet eigentlich das Schwinden des Neutrums.

2) Bei der zweiten Art der Unterscheidung des Geschlechtes sehen wir eine Gegenüberstellung des sprachlich Belebten dem sprachlich Unbelebten. Die Leitidee ist dabei biologischer Natur. Das Leben aber wird dabei eigen­tümlich aufgefaßt und verstanden. Die Lebensvorstellung assoziiert sich mit der Vorstellung der Bewegung, d. h. mit der Möglichkeit den Aufent­haltsort zu ändern. Alle sich bewegenden Tiere sind lebendig, aber die unbeweglichen, an einem bestimmten Ort festgebundenen Pflanzen gelten dem sprachlichen Denken als unbelebt. Diese Unterscheidung kommt in den slawischen Sprachen zum Vorschein. Sie wird aber nicht durch Anwendung besonderer formallen Exponenten, d. h. Kasusendungen, erreicht, sondern verwirklicht sich auf dem syntaktischen Boden, indem z. B. einmal die Nominativform, das andere Mal wieder die Genitivform als Akkusativ oder Objektkasus fungiert. Man bekommt den Unterschied des genus vivum und non vivum.

3) Bei der dritten Art von Genusunterscheidung wirkt eine Leitidee soziologischer Natur. Es spielt dabei Hauptrolle die sich in der menschlichen Gesellschaft und dementsprechend im sprachlichen Denken kundgebende Gegenüberstellung von männlichen Personen der ganzen übrigen Welt, zu welcher nicht nur Neutra und Feminina, sondern auch alle nicht persönlich aufgefaßten Masculina gehören. Auf diese Weise bekommt man das genus virile oder masculinum personale und das genus commune. Diese Unterscheidung wird einerseits auf dem syntaktischen Boden erreicht, anderseits wieder auch in besondere Flexionsformen inkorporiert. Zu den Sprachen, in denen eine solche Unterscheidung am stärksten ausgeprägt wird, gehört die polnische Sprache.

Diejenige Art der Geschlechtsunterscheidung, welche dem Englischen und den neuen skandinavischen Sprachen (dem Dänischen, dem Schwedischen...) eigen ist, hat etwas von den soeben erwähnten Unterscheidungen einerseits des Belebten und Unbelebten, anderseits des Persönlichen und Unpersönlichen. Jedenfalls hat man auch in diesen verhältnismäßig nüchternen Sprachen eine endgültige Ordnung und Befreiung von irrationellen Personifikationen und Animisationen noch nicht erreicht.

 

§ 38. Es ist eine aus vielen Sprachen bekannte Tatsache, daß die Benennungen der weiblichen Wesen aus den Benennungen von männlichen Wesen abgeleitet sind. Die Feminina gelten dann für das sprachliche Denken als Derivata von den masculinen Stämmen. So z. B.

aind.   mahmahī,   devadevī,   balinbalinī,   bhavanbhavatī, aśvavan aśvavatī

lat.  victorvictrix, imperatorimperatrix, rexregina…,

fr. prince — princesse, maître — maîtresse, dieu — déesse, pécheur — pécheresse…,

deutsch (nhd.) Wirt — Wirtin, Lehrer — Lehrerin, Schüler — Schüle­rin, Wolf — Wölfin, Fuchs — Füchsin, Löwe — Löwin…,

poln. sąsiad — sąsiadka, doktór — doktorka, nauczyciel— nauczycielka, lekarz — lekarka, uczeń — uczennica, wilk — wilczycalew — lewica

Ein Teil solcher Bildungen wird jetzt als Folge liebkosender, hypo-koristischer Auffassung und Behandlung weiblicher Wesen erklärt. Das Verkleinerte und zärtlich Behandelte paßt eben zum Weiblichen, während das Männliche als Grundform dazu gilt. Mit der Zeit verflüchtigt sich das Deminutive, das Hypokoristische und die ehemals deminutive Form wird zur einfachen Benennung, ohne irgend eine quantitative Wertschätzung.

Diese Abteilung der Feminina von den Masculina gehört zu den üblichsten Bildungsmitteln in den semitischen Sprachen im allgemeinen und in der hebräischen Sprache insbesondere. Das stimmt ausgezeichnet zu der biblischen Geschichte  (Erzählung)  von  der Entstehung Eva's  aus der Adamsrippe, und dann zu dem ganzen Charakter der zehn Gebote Gottes, wo das Weib (die Frau) bloß als ein Objekt, als ein Eigentum des Mannes betrachtet wird.

 

§ 39. Diese in der Sprache zum Vorschein kommende Weltanschauung, nach welcher das Männliche als  etwas Ursprüngliches und das Weibliche als etwas Abgeleitetes aufgefaßt wird, verstößt gegen die Logik und gegen das Gerechtigkeitsgefühl. Und trotzdem ist sie so tief in die Psychik von Europäern und Semiten eingewurzelt, daß sie sogar in die künstlichen Hilfssprachen übergangen ist. So finden wir z. B. in Esperanto bovo nicht nur als „Bindvieh" im allgemeinen, sondern auch als „Stier“ (?„Ochs“) und bovino als „Kuh“, patro als „Vater“ und patrino als „Mutter“. Das als reformiertes Esperanto entstandene Ido vermeidet dieses Misverhältnis, indem es z. B. bovo nur zur Bezeichnung eines Stücks Rindvieh gebraucht, und daneben nicht nur bovino für „Kuh“, sondern auch bovuro für „Stier“ bildet. Dies erinnert an die aus der natürlichen hottentotischen Sprache bekannten Verhältnisse (§33).

 

§ 40. Jedenfalls kann sich das sprachliche Denken mit seiner eigenen Wirtschaft ausweisen. Es besitzt verschiedene Wohnungen, abgesonderte Appartements für Wesen verschiedener Geschlechter. Man findet dort besondere Zimmer für Männer, etwa Rauchzimmer (sonst rauchen jetzt auch die Damen), besondere sprachliche Gynäcaea, besondere sprachliche Boudoirs für Damen, und schließlich besondere Kinderstuben. Sonst sind diese Appartements mit keinen chinesischen Mauern von einander getrennt, und eine Übersiedlung aus einer Stube in eine andere ist ohne besondere Hindernisse gestattet.

Man kann sich auch die von dieser Bevölkerung des sprachlichen Den­kens arrangierten gemeinsamen Tänze vorstellen. Und es geben auch Volkslieder einiger Völker einer solchen phantastischen Vermutung vollen Ausdruck. So finden wir in einem polnischen Volkslied:

 

Tańcowała ryba z rakiem,
a pietruszka z pasternakiem.            
Cebula sie˛ dziwowa?a,                                      
że pietruszka tańcowała.

(Es tanzte der Fisch mit dem Krebs     
und die Petersilie mit der Pastinake.    
Die Zwiebel wunderte sich,
daß die Petersilie tanzte).

 Um diesen Witz zu verstehen, muß man wissen, daß im Polnischen das Wort „Fisch“, ryba Feminin, und das Wort für „Pastinake“, pasternak, Masculin ist.

 

§ 41. Die obligatorische Genusbezeichnung bei allen substantiellen Vorstellungen muß auf die Psychik der mit dieser Zwangsidee belasteten Individuen einen gewaltigen Einfluß ausüben. Es ist doch kein Spaß, wenn man gezwungen ist, im Verlauf des mobilisierten sprachlichen Denkens keinen Schritt zu tun, ohne an das Geschlecht der auftauchenden substantiellen Vorstellungen zu denken.

Wir können auch andere ähnliche für das sprachliche Denken obligatorische Unterscheidungen voraussetzen.

Gesetzt, es seien an sprachlichen Substanzen Merkmale änderer Art ausgedrückt. So z. B. können wir uns eine solche Sprache vorstellen, in welcher jedes Substanzwort in dem Sinne bestimmt wird, daß es entweder fürs Essen, oder fürs Trinken, oder für keines von beiden dient. Dann bekämen wir ein Genus Esculentum (edule), ein Genus Potulentum und ein eigenartiges Neutrum, weder esculentum, noch potulentum. Eine solche sprachliche Unterscheidung würde zur Gastronomisierung des sprachlichen Denkens führen.

Ebenso könnte man den Unterschied zwischen schlafen und wachen, zwischen Bekleidung und Nicht-Bekleidung, zwischen Stehen, Liegen und Sitzenbleiben u. ä. zur Bildung eigenartiger sprachlichen Kategorien ausnutzen (utilisieren).

Man könnte sich ein solches sprachliches Bedürfnis vorstellen, daß jede substantielle Vorstellung eine gewisse Farbe besitzen muß. Ein von mir befragtes fünfjähriges polnisches Mädchen (Stasia Kruszewska), welcher Farbe das Recht, racja, ist, antwortete: „selbstverständlich gelb“ (naturalnie, że żółta). Und es erscheinen wirklich einigen mit besonders lebhaften Einbildungskraft ausgestatteten Individuen gewisse Kategorien von Substanzworten als mit besonderen Farben und plastischen Formen versehen. Einige polnische Maler versicherten mich, es habe für sie jeder Monatsname und jeder Wochentagsname immer eine und dieselbe Form und eine und dieselbe Farbe. Und es werden übrigens Vorstellungen verschiedener abstrakten Substantiva mit Vorstellungen einzelner Farben assoziiert. So erregt die Unschuld, die Makellosigkeit die Vorstellung des Weißen, die Eifersucht ist gelb (Gallenfarbe), Hoffnung — grün, Liebe — rosafarbig, Rache — blutrot, Edelmut (Ehre) — blau, Trauer und Anarchie — schwarz u. s. w. Einige von diesen Assoziationen sind durch die unsere Gefühle und Stimmungen begleitenden physiologischen, sinnlichen Symptome (Erscheinungen) bestimmt. Die Farbenassoziationen aber haften nicht an den diese psychischen Zustände bezeichnenden Wörtern mit irgendwelchen formellen, grammatischen Exponenten, wie es mit der Genusbezeichnung der Fall ist.

(Rote Fahne, drapeau rouge, poln. czerwony sztandar; poln. krwawy terror, čechisch rudé právo).

 

§ 42. Die obligatorische Assoziation jeder Substanzvorstellung mit der Vorstellung dieses oder jenes Geschlechtes erinnert an die obligatorische Bezeichnung in den Pässen der Haarfarbe der Betreffenden, wenn er auch keine Spur irgendwelcher Behaarung auf seinem Schädel und auf seinem Gesicht besitzt, oder, was viel schlimmer und unsinniger, an die obligatorische Bezeichnung der Konfession oder des Glaubensbekenntnisses in den Pässen sogar solcher Leute, die nach ihrer eigenen Überzeugung zu keiner Konfession gehören. Dieser Unfug wird bis heutzutage in einigen halbbarbarischen Ländern getrieben.

Einige psychopathisch angestrichene Köpfe klassifizieren alle Wesen, alle Substanzen, nach gewissen nationalen oder Rassenmerkmalen und diese üble Gewohnheit verleiht den zwischenmenschlichen Beziehungen ein besonderes nichts weniger als erwünschtes Gepräge.

Wenn man von einem Menschen spricht, so fragen einerseits orthodoxe Juden, andererseits mit dem Antisemitismus vergiftete Christen vor allem darnach, ob er Jude oder nicht Jude ist. Für die Juden zerfällt die ganze Welt in die gläubigen Juden und ungläubige Goims; die biederen von der Nächstenliebe strotzenden Christen wittern überall, nach dem Vorbilde von Heine's Donna Clara, das verhaßte Judentum, welches sie dem reinen Christentum, als das Böse dem Guten, schwachköpfig gegenüberstellen. Von dieser naiven Verjudung des sprachlichen Denkens im Bereich zwi­schenmenschlicher Beziehungen ist nur ein Schritt zur Verjudung der ganzen substanziellen Welt, wo man berechtigt wäre zu fragen, ob Haus und Straße, Hut und Stiefel, Apfel und Birne, Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit, Klugheit und Dummheit u. s. w. u. s. w. Jude oder nicht Jude seien. Wenn diese Verblendung und diese Drehkrankheit weiter fortdauert, bekommen wir wahrscheinlich auch eine formelle Verjudung des sprachlichen Denkens. Wie im Gebiet der Genusunterscheidung, bekommen wir dann besondere Endungen der Substanzwörter des jüdischen Geschlechtes und wieder besondere für die als nicht-jüdische geltenden Wörter.

Es liegt auf der Hand, daß auch ohne formelle Exponenten eine solche Verjudung des Gehirns auf unsere Weltanschauung und Stimmung einen großen Einfluß haben muß.

 

§ 43. Alles so eben Gesagte gehört ins Gebiet des Phantastischen und des Hypothetischen. Wir brauchen aber nicht so weit gehen. Wir besitzen ja in vielen Sprachen die formelle, morphologisierte phonetisch-akustische Einverleibung solcher Unterschiede, welche anderen Sprachen als feste grammatische Kategorien fremd sind.

So bleibt z. B. die Vorstellung der, Zugehörigkeit, des Eigentums in vielen Sprachen formell nicht ausgedrückt, sie gehört zu den sogenannten latenten Vorstellungen (idées latentes du langage, wie sie Michel Bréal genannt hatte). In anderen Sprachen wieder kann man nicht umhin, immer genau zu betonen, daß man mit einem mir, dir, uns, euch, ihm, ihr, ihnen oder niemandem gehörenden Gegenstand zu tun hat. So spricht man im Deutschen gib mir meinen Hut, ich ging mit meiner Frau spazieren, französisch donnez-moi mon chapeau, je suis sorti avec ma femme... Etwas Ähnliches ist obligatorisch in den anderen romanischen und germanischen Sprachen, in den uralaltaischen Sprachen, im Armenischen, im Bulgarischen, im Serbischen u. s. w. In anderen Sprachen braucht man keinen solchen obligatorischen formellen Ausdruck der Zugehörigkeit. Wenn ich einen Hut auf meinen Kopf setzen will, oder wenn ich mit einer Frau gehen will, so werden sie vor allem als mir Gehörende verstanden. Und so spricht man z. B. in solchen Fällen polnisch oder russisch ohne das Possessivpronomen: gib mir Hut, ich ging mit Frau  u. s. w.

 

§ 44. Ähnlich verhält es sich mit der Unterscheidung der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit. In den die Artikelkategorie besitzenden Sprachen ist die formelle Bestimmung dieser grammatischen Kategorie obligatorisch, wobei der Artikel entweder präpositionell oder postpositionell gesetzt werden kann. Präpositionell im Griechischen ὁ ἡ το, deutsch der, die, das, englisch the, französisch, italienisch, spanisch, niedersorbisch..., postpositionell in skandinavischen Sprachen, im Rumänischen, im Bulgarischen... Im Gegensatz zu dem bestimmten Artikel kann die Unbestimmtheit entweder auch mit einem besonderen Artikel, oder bloß mit dem Mangel jedes Artikels, wie z. B. im Griechischen, ausgedrückt werden. In den slawischen Sprachen und im litauischen hat sich die Vorstellung des Unterschieds zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit in den formellen Unterschied der Deklination bestimmter und unbestimmter Adjektiva einverleibt. Sonst bleibt die Unterscheidung der Bestimmtheit und Unbestimmtheit bei den Substanz- vorstellungen dem Kontext und der allgemeinen Situation überlassen.

Die Unterschiede zwischen den Redeteilen, wie Substantiv, Adjektiv, Verbum... haben keine bestimmten und immer gleiche Exponenten. Der Komplex formeller Merkmale entscheidet, ob das gegebene Wort zu dieser oder jener Kategorie vom Standpunkt der Redeteile gehört.

Es ist das Verdienst der Erfinder einiger künstlichen Sprachen, vor allem des Esperanto, ständige Symbole für Substantiva und Adjektiva (o, a) eingeführt zu haben. Das Ido hat die in Esperanto eingeführte Symbolisierung beibehalten.

 

III        

 

§ 45. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Existenz der Genusunterscheidung in einigen Sprachen die Köpfe, die Gehirne, die Psychen der solche Sprachen redenden Individuen sexualisiert, wobei man auch die gestern (früher) von mir erwähnten Abarten der sprachlichen Genera berücksichtigen muß, die auf der Unterscheidung des Belebten und Unbelebten und des Persönlichen und Unpersönlichen beruhen.

Wir konstatieren dabei eine gegenseitige Einwirkung und einen gegenseitigen Austausch zwischen der Außenwelt und zwischen der sie widerspiegelnden menschlichen Psyche, zwischen dem großen Makrokosmos der Natur im weitesten Sinne des Wortes und zwischen dem kleinen Mikrokosmos der menschlichen Seele. Die lebende Natur hat die ihr eigene Sexus-unterscheidung dem menschlichen sprachlichen Denken in der Form grammatischer Geschlechter aufgedrängt, und darauf nach dem Losungswort „das Gute mit dem Guten (eventuell das Böse mit dem Bösen) zu vergelten“, hat das menschliche Denken die ganze, sogar unbelebte und abstrakte Welt geschlechtlich gefärbt. Der Sexus in der Welt hat das Geschlecht im sprachlichen Denken erzeugt, und umgekehrt hat das sprachliche Denken allen Substanzvorstellungen der ganzen Welt geschlechtliche Merkmale verliehen.

Diese formelle Unterscheidung der Genera findet Widerhall vor allem in der literärischen Tätigkeit. Es ist dadurch die Möglichkeit gegeben, sich gewisse Witze zu erlauben, die in den solcher Genusunterscheidung entbehrenden Sprachen keineswegs möglich wären. Wenn Roma locuta, so kann man auch Seneca locuta est (poln. Seneka mówiła mi), Agrippa profecta est nachbilden. Numa heiratete Pompilius (poln. Numa wyszła za Pompiljusza) ist auch ein solches durch die formelle Genusunterscheidung ermöglichtes Wortspiel. Solche Witze und Wortspiele können nebenbei als sprachliche, etymologische Mythen im Keim betrachtet werden.

Ich brauche nicht zu betonen, daß ein sexualisiertes sprachliches Denken auf unsere ganze Weltanschauung und Stimmung einen unleugbaren Einfluß ausüben muß.

 

§ 46. Es spiegelt sich dieses vor allem in der Gesetzgebung wider.

Als ich von dem Gegensatz zwischen dem Masculinum Personale oder Virile und dem alles übrige umfassenden Commune sprach, berührte ich die zehn Gebote Gottes (§ 38), welche durch und durch vom Standpunkt der Männer verfaßt worden sind. Der Mann erscheint dort als Zentrum, als Subjekt des Gesetzes, für welchen alle diese Vorschriften und Verbote geschmiedet wurden. Das Weib, als Subjekt des Gesetzes, ist dabei von dem Gesetzgeber nicht vorausgesehen und wird als Gesetzobjekt, sammt Ochsr Esel, Haus u. s. w. betrachtet. Von irgend einer Frauen-Gleichberechtigung ist hier selbstverständlich keine Rede. Es läßt sich nur eine eigenartige Courtoisie der Westeuropäer den Damen gegenüber darin sehen, daß sie die Frau aus dem 10-en Gebote aus der Gemeinschaft mit Ochs und Esel ausgeschieden und für sie, für die Frau ein besonderes 9-es Gebot erfunden hatten, was eine Änderung der ursprünglichen Numeration der Gebote zur Folge hatte (cf. § 56).

Soziale Institutionen und Würden sind einzig und allein den Männern überlassen.  Einerseits Gott, andererseits Priester, Papst, König, Präsident, Herzog etc. sind Männer. Weib ist auch in diesem Gebiet nicht vorausgesehen. Man hatte zwar Königinnen und Kaiserinnen, aber   solche Fälle kommen höchst selten vor.

Die Erniedrigung der Frauen in den semitischen Religionen springt in die Augen. Für einen rechtgläubigen Muselmann od. Mohamedanner besitzt das Weib keine Seele. Die Juden dulden zwar die Frau in der Synagoge, aber sie hat dort keine Stimme.

Diese Verachtung der Frau ist auch dem in dem Judentum wurzelnden Christentum eigen. Mulier taceat in ecclesia (das Weib soll schweigen in der Kirche) — das ist das Losungswort des ursprünglichen Christentums und des Katholizismus.

Es ist zwar etwas zu kühn diese Erniedrigung der Frauen von den sprachlichen Eigentümlichkeiten betreffender Sprachen abhängig, zu machen. Es läßt sich dies weder bejahen, noch verneinen. Es bleibt eine offene Frage, welche verdient erforscht und gelöst zu werden.

 

§ 47. Auch spätere, nicht religiöse, rein weltliche Codices und Gesetzbücher wurden von den arioeuropäische (indogermanische) Sprachen redenden Gesetzgebern vorwiegend so verfaßt, als ob sie nur Männer, mit Ausschluß der Frauen, im Auge hätten.

Man wollte lange Zeit von einer Zulassung der Frauen zur gleichen Bildung mit den Männern gar nichts hören. Der Eintritt in die höheren Schulen war in Europa für die Weibspersonen rücksichtslos geschlossen. Nach und nach eroberten sich die Weiber Bildungsrechte. Sie fingen an, auf dem wissenschaftlichen Feld zu arbeiten, wurden Doktoren, hervorragende Gelehrten.

Und so kam es vor, daß sich vor etwa 15 Jahren eine mit dem Titel des Doktors der Medizin versehene und wissenschaftlich tätige Frau bei der Moskauer Universität gemeldet hatte, um sich dort als Privatdozent zu habilitieren. Die Universität hatte keine Einwände und bewilligte die Habilitation. Der damalige Minister der Volksaufklärung aber, der berüchtigte L. Kasso, hat seine Bestätigung verweigert, sich auf den Wortlaut des Status stützend, welcher einzig und allein Dozenten, aber keine Dozentinnen voraussah.

So etwas war mir dort möglich, wo man Gesetze und Verordnungen in einer Genera unterscheidenden Sprache verfaßt. Ein finnisch geschriebener Statut könnte zu keiner solchen Ausflucht Veranlassung geben. Die finnischen Substantiva sind geschlechtslos; es haben also die in den finnischen Gesetzen und Verordnungen gebrauchten Termini beide Geschlechter auf einmal in Sicht. Das finnische Wort opetaja läßt sich keines wegs mit einem Wort der arioeuropäischen Sprachen übersetzen. Denn es bedeutet ein menschliches Wesen, welches sich mit dem Lehren befaßt oder ein Lehramt bekleidet. Es ist also weder Lehrer, noch Lehrerin, sondern beides aufeinmal (gleichzeitig). Das finnische Wort opetaja und die ihm semantisch entsprechenden arioeurop. Wörter sind, so zu sagen, inkommensurable Größen. Wenn ich dieses Wort lateinisch, deutsch, französisch, italienisch, englisch, dänisch, polnisch, russisch, litauisch u. s. w. wiedergeben will, muß ich zu einer umständlichen Umschreibung Zuflucht nehmen, und doch sind alle dazu dienenden Wörter schief aufgepaßt. „Lehrer“ ist männlich, Maskulin, „Lehrerin“ ist weiblich, Feminin, „Wesen“, „etwas“ etc. sind Neutra. Keine Möglichkeit also einer genauen Wiedergabe und Übersetzung. In den finnischen Sprachen (Suomi, Estnisch...) sind Wörter für er, lui, egli, he, han, on.,., für sie, elle, ella, she, hun, ona... ganz identisch. ...

Ein finnischer Minister, welcher eine Weibsperson zu einem Lehramt nicht zulassen wollte, könnte sich auf alles Mögliche, auf anatomisch-physiologische Kennzeichen, auf die Bibel, auf die Erbsünde, auf alles andere berufen, nie aber die Sprache zu Hilfe nehmen. Die Sprache würde, sich nicht misbrauchen lassen.

Sonst wenden auch die in arioeuropäischen und semitischen Sprachen, verfaßten Gesetze und Vorschriften vornehmlich männliche Ausdrücke an, und doch werden sie gleichmäßig an Männer und Frauen angewandt. Im Strafkodex liest man von Verbrechern; nichtsdestoweniger werden Verbrecherinnen ebenso bestraft, wie Verbrecher männlichen Geschlechtes. Man folterte, verbrannte, hing auf, erschoß, sperrte in Gefängnisse... nicht nur Männer, sondern auch Frauen und sogar Kinder, nicht nur Masculina, sondern auch Feminina und Neutra.

*    *   *

 

§ 48. Sexuell infizierte Gehirne arbeiten sehr eifrig in dieser Richtung. Einer solchen schöpferischen Tätigkeit des menschlichen Gesindels verdanken wir pornographische Inschriften, Zeichnungen und Malereien an Wänden, Türen u. s. w. (in Aborten). Der Zynismus des römischen Pöbels Herculanum und Pompaei hat uns sehr wertvolles Material für die Erforschung der lateinischen Sprache überliefert.

Ob dieser pornographischer Zynismus mit der Genusunterscheidung betreffender Sprachen im Zusammenhang steht, mag dahingestellt bleiben. Es Hessen sich doch vielleicht gewisse quantitative, statistische Unterschiede zwischen verschiedenen Völkern auch in dieser Hinsicht auf weisen. Die betreffenden Untersuchungen müßten aber mit größter Vorsicht geführt werden.

Auf anderer Seite wieder können wir a priori voraussetzen, daß die Sexualisierung unseres sprachlichen Denkens verschiedene Kundgebungen einer sentimentalen, ideellen, sogenannten platonischen Liebe begünstigt.

Sexualisierte Substanzvorstellungen befruchten sich gegenseitig. Alles lebt, pflanzt sich fort, zeugt, nach dem Vorbild des Menschen selbst, als des Trägers des sprachlichen Denkens. Wir haben da mit einer ununterbrochenen Projektion der Menschlichkeit, des menschlichen Ich's in die Außenwelt zu tun.

Die Sprache ist eigentlich eine Mythologie, eine nie versickernde, unerschöpfte Quelle mythischer Gebilde. Um lebendig zu sein, muß sich diese Quelle in beständiger Bewegung befinden. Wenn flüchtige, bewegliche Mythen in Dogmen eingekerkert (eingesperrt) werden, dann kommt ihre naturwidrige Erstarrung und Versteinerung. Lebendige Mythen weichen toten Dogmen.

Die Sexualisierung des Gehirns mittelst des geschlechtsunterscheidenden sprachlichen Denkens fördert schöpferische Kraft im Gebiet der Wissenschaft, der Literatur, der Dichtung, der Kunst.

Ich lasse mich vielleicht durch meine Hypothesen verleiten und zu weit führen; aber es scheint mir, daß die mit sexuellen Zeichen ausgestatteten Sprachen gleichzeitig mit einem viel größeren Quantum Gehirnerotismus verbunden sind, als die nüchternen Sprachen, frei von dieser überflüssigen Wucherung.

Ich kann mich auf meine Erfahrungen in dieser Hinsischt berufen. Bekannt ist die populäre Arie aus der Oper Rigoletto: La donnà è mobile, qual pium' al vento, muta d' intento e di color...

Diese Arie gelangte bis nach Estland, gefiel den Esten und wurde dort populär. Die estnischen Dichter und Komponisten haben sie heimisch gemacht. Anstatt aber den italienischen erotischen Text ins Estnische zu übersetzen, haben sie einen ändern heimischen Text zu dieser Melodie angepaßt, in welchem Frühlingsreize (kevade- „Frühling“) gepriesen werden. So wurde der erotische Text der Italiener mit einem die Naturschönheit verherrlichenden estnischen Text ersetzt.

Ob diese Änderung wirklich mit dem Mangel der Genusunterscheidung in der estnischen Sprache zusammenhängt, erlaube ich mir nicht zu behaupten; der Zusammenfall aber ist merkwürdig.

 

§ 49. Der Einfluß der Außenwelt im weitesten Sinne des Wortes hat in die menschliche Seele die Keime der sprachlichen Elemente hineingesät. Gleiches mit Gleichem vergeltend, hat die menschliche Seele eine Masse neuer Substanzen geschaffen und mit denselben die Außenwelt bereichert.

Das Wort wird zur Macht und zum Körper. Der Mensch hat viele Götter nach seinem Ebenbild geschaffen und mit ihnen den eigenen Olympus bevölkert. Dieser schöpferische Prozeß zieht sich durch alle Mythologien durch und ist auch der neuesten Phase des religiösen Glaubens, dem Christentum, eigen. Das Wort wurde zum Leib und weilte unter uns. Wir haben sogar den einzigen monotheistischen Gott mit einen Leib beschenkt. Er erschien auf Erden und führte das gewöhnliche Menschenleben mit allen seinen Freuden und Leiden. Und immerfort vermag jeder einen Gottesdienst zelebrierender Priester es zu stände zu bringen, daß sich der allmächtige Gott in die Hostie inkorporiert.

 

§ 50. Wir schweben dabei in den höchsten, in den vornehmsten Sphären des sprachlichen und überhaupt des menschlichen Denkens. Aber auch sonst wird jedes Wort zur Sache, und mit dem Wort, mit der von dem Menschen ihm gegebenen Benennung bekommt jedes Ding eine Seele, was so geschickt und geistreich in Maeterlinck's „Blauen Vogel“ dargestellt wird. Das Feuer ist eine Naturerscheinung; wenn es aber von dem Menschen mit einem Namen getauft wird, erhält es eine Seele, und diese Seele kann ihrerseits zum Gott des Feuers werden. Das ist die Genese des altindischen Gott Agni. Auf ähnliche Weise entstanden alle anderen Naturgötter.

Den Austausch zwischen Wortvorstellungen und Sachenvorstellungen, die ständige Bewegung in beiden Richtungen, von Sachen zu Wörtern und von Wörtern zu Sachen, symbolisieren uns diejenigen Wörter verschiedener Sprachen, welche nach beiden Seiten hin semantisch assoziiert werden, d.h. gleichzeitig „Wort“ und „Sache“ bedeuten. Das Gesagte wird zur Sache, verkörpert sich.

Nach dem verhängnisvollen Feldzug des Jahres 1812 erzählten französische Soldaten, es habe die Kälte einen so hohen Grad erreicht, daß gesprochene Wörter froren, und bis an die Ohren Hörender nicht gelangen konnten. Es waren also Wörter als lebende Wesen gedacht.

Zu derselben Kategorie gehört bei den spiritistischen Sitzungen Materialisation nicht einmal laut ausgesprochener, sondern bloß gedachter Wörter.

§ 51. Es verkörpern sich Worte in lebende Wesen auch im sprachlichen Denken, welchem Geschlechtsunterscheidung fremd ist. Wie der Mangel dieser Geschlechtsunterscheidung nicht hindert, daß man sich des natürlichen Sexusunterschiedes bewußt ist, so kann ebenfalls die mythische und künstlerische schöpferische Kraft geschlechtslose Sprachen redender Völker Götter und Helden beiderlei Geschlechtes schaffen, mit ihnen den nationalen Olympus bevölkern und ihnen in der Dichtung und in den plastischen Künsten entsprechende Gestalten verleihen. Es lassen sich doch menschliche und menschenähnliche göttliche Wesen nur in einer konkreten Form denken, und zur vollen Konkretisierung gehört ja auch die Ausstattung mit den auf die sexuelle Zugehörigkeit hinweisenden charakterischen Zügen. Geschlechtslose Abstraktionen lassen sich zwar denken, aber kaum vorstellen. Alle Einwohner jedes belebigen Olympus müssen entweder als Männer, oder als Weiber, oder meinetwegen als Kinder aussehen, aber die Kinder zerfallen ihrerseits in Knaben und Mädchen. So ist ein Engel, ein Gottesbote, ein Vermittler zwischen Göttern und Menschen entweder ein rüstiger biblischer Kerl, welcher mit dem Sohn Isaaks ringt, oder eine zarte Jungfrau, oder schließlich ein blinder Passagier (Heine), ein Amorchen, mit kleinen Flügelchen an seinen Armen und mit seinem Pfeile liebende Herzen durchbohrend. So finden wir z. B. in der finnischen und estnischen reizenden Mythologie Männer, Frauen und Kinder, obgleich den ugro-finnischen Sprachen geschlechtlich angestrichene Substanzvorstellungen fremd sind.

 

§ 52. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß die Ausstattung aller Substanzwörter mit Geschlechtsexponenten eine üppige Wucherung etymologischer Mythen ungemein fördert. Welche Bahnen die mythisch tätige schöpferische Kraft dabei betritt, was für Liebesgeschichten sie erdichtet, hängt in hohem Grade von dem grammatischen Geschlecht der zu animisierenden und zu personifizierenden Wörter.

Wo „Sonne“ masculin (männlich) und „Mond“ feminin (weiblich) ist, wird Sonne zum Liebhaber und Gatten, der Mond aber zur Liebhaberin und Gattin. Dies trifft den griechischen Helios und Selene (Helene) und den römischen Sol und Luna zu. Wo aber umgekehrtes Verhältnis vorkommt, werden auch die Rollen liebender und heiratender Herzen umgetauscht. In einem litauischen Lied wird erzählt, der Mond habe im ersten Frühling (in ersten Lenztagen) das Sonnenchen (Sonnlein) geheiratet, wurde aber seiner Gattin untreu, wofür ihm der erzürnte Perkunas (Donnergott, Gott Indra der Litauer) das Herz durchstach; darum sei der Mond so blaß. Es liesse sich ähnliche Geschichte auch für die deutschen Masc. Mond und Fem. Sonne ersinnen. Das slawische neutrale Wort für Sonne läßt sich zu erotischen Zwecken nicht mehr verwenden.

Der heitere griechische Zeus, dem altindischen Dyaus entsprechend, nutzt seine Männlichkeit in verschiedensten Richtungen aus. Dieser göttliche Don Juan verführt seine Opfer entweder unter seinem eigenen Namen und in seiner eigenen körperlichen Gestalt, oder unter Pseudonymen. Die ihm geneigte Volksphantasie hat ihm einen vollständigen Harem, ein vollständiges Gynäceum eingerichtet.

Andere Götter sind zwar viel bescheidener, folgen aber dem ermunternden Beispiel des ehrwürdigen Zeus pater.

 

§ 53. Zügellose Einbildungskraft in erster Reihe arioeuropäischer Völker hat in dem strengen absoluten semitischen Monotheismus Einbruch getan. Der nach der Ausrottung aller seiner Gegner und Nebenbuhler allein herrschende jüdische Gott war ein alter Junggeselle. Unter dem Einfluß des arischen Elements konnte er den Verkehr mit Weibervolk nicht mehr meiden und mußte heiraten.

Es ist wohl möglich, daß auch mich meine zu heiße Phantasie zu weit hinreißt, und daß meine Vermutung dem tatsächlichen Verlauf in der Geschichte der jüdisch-christlichen Mythologie nicht entspricht. Solche Vermutungen aber sind sehr verlockend.

Das dem sprachlichen Denken eigene Geschlecht der Substanzwörter kommt auch sonst im Gebiet der mit den Mythenbildung verbundenen künstlerischen und sogar der wissenschaftlichen Schöpfung zum Vorschein. Inter arma silent musae. In den Zeiten, wo die vor allem von den Männern angewandte rohe Gewalt Oberhand gewinnt, treten die weiblichen Gestalten der Musen auf den letzten Plan zurück.

 

§ 54. Mit der sprachlichen Genusunterscheidung kann auch der Glaube an Hexen und ihre geheimen Umtriebe mit Teufeln zusammenhängen. Diese im Schöße des düsteren katholischen mittelalterischen Fanatismus entstandene Ausartung des antiken harmlosen Mythus von den Buhlereien der Faunen, Satyren und Nymphen hat die mit Blut und Feuer geschriebene Weltgeschichte, d. h. die Geschichte des menschlichen gegenseitigen Hasses und der menschlichen Grausamkeit mit einer erheblichen Anzahl von Hexenschwemmen, von ausgesuchten Foltern, von Verbrennungen lebender Personen vermehrt. Denn die Kirche vermied ja das Blutvergießen und hat es mit dem Schmoren auf Scheiterhaufen ersetzt. Der männliche jenseitige halbvergötterte unsterbliche Teufel war unerreichbar; um desto mehr also sollte seine weibliche irdische Mitschuldige alle juridischen Konsequenzen ihrer gemeinsamen Verbrechen tragen.

 

§ 55. Unter dem Zwang des nationalen sprachlichen Denkens verkörpern die Künstler ihre Vorstellungen je nach dem sei es in männliche, sei es in weibliche Gestalten. Der deutsche Maler Stuck hat dem personifizierten Kriegsungeheuer männliche Gestalt gegeben; dem polnischen Maler Grottger war seine Wojna ein weibliches Scheusal. Ebenso der schöpferischen Phantasie eines französischen Malers oder Bildhauers präsentiert sich seine la Guerre in der Form einer nichts weniger als anziehenden Dame. Ähnlich verhält sich mit den deutschen Zorn, Wahn, Wut, Gedanke, Verstand, dabei Vernunft..., mit den französischen furie, pensée, raison... Dem deutschen männlichen Tode stellen sich weibliche französische la mort und slawische Ausdrücke für „Tod“ (poln. śmierć, russ. smert’, čech. smrt...) gegenüber.

Ein französischer, italienischer... Maler oder Bildhauer wird seine bildlich (plastisch) objektivierte patrie, patria... mit weiblichen Akzessorien ausstatten. Ebenso gelten dem polnischen Künstler seine ojczyzna..., dem čechischen seine vlast, dem russischen seine родина..., dem slovenischen seine domovina..., als Jungfern oder Frauen. Wo sich aber, wie im Deutschen Vaterland, im Russischen отечество..., die Vorstellung des Vaterlandes mit einem neutralen Wort assoziiert, da muß auch die Einbildung des Künstlers bei der Verkörperung dieser Vorstellung in sinnliche Gestalten zu eigenartigen Mitteln greifen. Etwas ähnliches hat man auch im Gebiet der Ländernamen: deutsch Deutschland, Rußland, Griechenland, England, Schotland, Holand, Estland, Lettland, Livland, Kurland, Frankreich, Österreich, Dänemark, Schweden, Norwegen, Belgien, Italien, Spanien, Bulgarien, Polen, Litauen, Sachsen..,, daneben Türkei, Tschechoslowakei..., französisch Allemagne, Russie, Grèce, Angleterre, Hollande, Estonie, Livonie, Lettonie, France, Autriche, Belgique, Italie, Espagne, Bulgarie, Pologne, Lituanie, Saxe...

 

*   *   *

 

§ 56. Diese auf dem sprachlichen Denken unserer Völker lastende obligatorische Ausstattung aller Substabzwörter mit Geschlechtszeichen empfand man öfters als etwas Erdrückendes, als eine Plage, als einen Alp, als einen Cauchemar. Um den wollüstigen Versuchungen der mit Sexusideen korrumpierten Welt auszuweichen, flüchteten sich keusche Geister in die Wüsten und Einsiedeleien. Aber auch dort konnten sie sich nicht von den verderblichen Verlockungen befreien. Sie trugen ja doch in ihren Köpfen ganze Welt von den sexuell versinnlichten Vorstellungen. Die altindischen muni- waren von den wunderschönen apsarasas gequält, die von den die Macht der Buße fürchten den Göttern den Auftrag bekamen, alle durch das keusche und enthaltsame Leben des betreffenden muni- gewonnenen Vorrechte durch Ausschweifungen der sinnlichen Liebe zu vereiteln.

Bekannt sind die Versuchungen des heiligen Antonius, welchem seine Halluzinationsgebilde sich in lebende Wesen verwandelten.

Viele Heiligen-Legenden drehen sich um den Kampf mit den auch sprachlich bedingten sexuellen Versuchungen und Halluzinationen.

Erotische Sünden haben einen besonderen Reiz und erwecken einen eigentümlichen wollüstigen Greuel. Beides wird von dem grammatischen Geschlecht der gedachten Substanzwörter ungemein gestärkt.

Da ist der Ursprung der mächtigen erotischen Mystik, die sich besonders im Mittelalter, aber auch später breit machte. Viele Wollüstlinge wurden im späteren Alter zu Büßern und Asketen. Viele Mönche, die ihren Körper unbarmherzig kasteiten, verliebten sich in die heilige Jungfer Maria und in verschiedene andere Heiligen weiblichen Geschlechts. Andererseits verliebte sich heilige Barbara in Jesus Christus. Und sie hatte viele Nachahmerinnen.

Einige Mystiker behaupteten sogar, daß Gott aus Liebe zur menschlichen Seele wahnsinnig wurde.

Die Sexualisation des Gehirns, die Versetzung des sexuellen Lebens in den Kopf, was augenscheinlich mit der übermäßigen Stärkung des Gefühls des grammatischen Geschlechts zusammenhängt, hatte unter anderem die ideale Liebe irrender Ritter zu ihren Herzensdamen, die Liebe verschiedener Don Quijote's zu ihren Dulcineen zur Folge. Diese dem europäischen Abendland eigene Ritterlichkeit und Courtoisie den Damen gegenüber zog vielleicht nach sich die Ausscheidung der Frau aus der Gemeinschaft mit Ochs und Esel des zehnten Gebotes im Dekaloge und Schaffung eines besonderen 9-en Gebotes für dieses besonders reizende Eigentum, was eine Änderung der ursprünglichen Numerierung alttestamentlicher Gebote zur Folge hatte (cf. § 46).

 

§ 57. Im Kampf mit dem verfluchten, verdammten, verhaßten Sexus schuf man das Dogma der Immaculata Conceptio, welches zu den psychopathischen Erfindungen des menschlichen Geistes gezählt werden muß.

Dieses an den Worter haftende Geschlecht ruft fortwährend: memento sexus! (gedenke des Geschlechtes), wie man von anderer Seite wieder memento mori! (gedenke des Todes) hört.

Der typische Arioeuropäer, Stanisław Przybyszewski, welcher, obgleich Pole von Geburt, seine ersten Werke deutsch geschrieben hatte, hat in einem seiner Romane gesagt: „Am Anfang war das Geschlecht“. Die deutsche Sprache begünstigte diesen eigenartigen doppelsinnigen Spruch; denn das Wort Geschlecht ist ein Homonym, welches einerseits Sexus in der tierischen und sogar in der Pflanzenwelt, andererseits wieder das grammatische Geschlecht der Substanz Wörter bezeichnet. Dieser Ausspruch gleicht bei­nahe seinem Vorgänger: „Am Anfang war das Wort“ (ἐν ἀρχῆ ἦν ὁ λόγος). Das arioeuropäisehe und semitische Wort, λόγος, Verbum, slovo..., ist mit Geschlechtszeichen, mit Organen einer psychischen Zeugung und Fortpflanzung ausgestattet. Das Geschlecht wird also gleichzeitig mit dem Wort gegeben.

 

*   *   *

 

§ 58. Ich habe schon solche Klügeleien und Konzeptionen des mit der dem Gehirn eingeimpften Sexualisation kämpfenden menschlichen Geistes erwähnt, welche gerade an das Psychopathische streifen. Diese sozusagen erotische Monomanie, diese erotischen idées fixes haben viele Künstler veranlaßt, diese Verfolgungsvorstellungen, diese krankhaften idées fixes in solche Kunstprodukte zu verkörpern, welche zwar esthetisch zu hoch stehen, um zur gemeinen Pornographie zugezählt zu werden, trotzdem aber in sexueller Hinsicht sehr aufregend wirken und infolge dessen in physiologischer und ethischer Hinsicht höchst schädlichen Einfluß ausüben. Einen ähnlichen schädlichen Einfluß üben auch jene Schriftsteller (Dichter, Novellisten, Romanschreiber) aus, die mit Vorliebe heikele Fragen berühren und sie derartig darstellen, daß die Einbildung der Leser vorwiegend in der sexuellen Richtung arbeiten muß, und infolge dessen diese Schriftsteller zur Depravation, Degeneration und zur Verbreitung der ethischen Verwilderung beisteuern. Daher diese Überflutung der Literatur mit Erzählungen, Theaterstücken und sonstigen Erzeugnissen, die der sogenannten Lösung erotischer Probleme gewidmet sind und sich mit verschiedenen Ehebrüchen (adultères), ehelichen Dreiecken, Verführun­gen u. s. w. befassen.

Eine Zeitlang haben in diesem die menschliche Moral bedrohenden Konzert die französischen Schriftsteller die erste Geige gespielt. Es arbeiteten aber sehr eifrig in derselben Richtung Schriftsteller und Künstler anderer Nationen und anderer Länder.

Manchmal sieht es so aus, als ob sich das ganze soziale Leben der Menschheit auf das eigenartige Balzen der Birkhähne und Birkhennen reduzierte und nichts anderes als eine chronische, immerfort dauernde Brunstzeit darstellte.

In den letzten Zeiten, infolge des Krieges und der ihn begleitenden „Umwertung aller Werte“ haben im Gebiet der Kunst und der Literatur erotische Probleme anderen die Menschheit stark ergreifenden und erschütternden Motiven bedeutend weichen müssen. Es behält trotzdem der Eros und wird wohl weiterhin seine dominierende Stellung behalten.

 

§ 59. Es wäre wohl etwas zu kühn sein zu behaupten, daß der künslerische und schriftstellerische zerebrale Erotismus von der Sexualisierung des sprachlichen Denkens durch grammatische Genera (Geschlechter) der Substanzwörter betreffender Sprachen abhängt. Nichtsdestoweniger bleibt es als sehr interessantes Problem zu untersuchen, ob nicht das Vorhandensein dieser sprachlichen Eigentümlichkeit ein besonderes Gepräge an den künstlerischen und dichterischen Schöpfungen aufdrückt.

Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, daß unsere Traumbilder zum Teil von dem an den im Traum mobilisierten Substanzwörtern haftenden grammatischen Geschlecht abhängen. Unsere träumerische Phantasie wird von diesem mächtigen Faktor beherrscht und hingerissen.

Und da einige Arten des Wahnsinns sich als unaufhörende Träumereien in dem physiologisch wachen Zustand definieren (auffassen, begreifen) lassen, so können wir auch in ihnen ähnliche vom grammatischen Geschlecht abhängigen chaotischen Assoziationen und krankhafte Stimmungen annehmen.

Der russische Novellist Čechov, der zugleich ein hervorragender Psy­chiater und Neuropatholog war, erzählt in einer seiner Novellen, wie sich ein psychisch anormaler Subjekt in eine Guitarre verliebt hatte. Der andere wieder verliebte sich, in den Mond, weil das russische Wort für Mond, luna (луна), weiblichen Geschlechtes ist.

Eigenartige Kundgebungen des Wahnsinns haften an jeder sexuellen Depravation und Degeneration, welche entweder ziemlich ruhig verläuft und sich bloß im Gehirn vollbringt, oder viel häufiger auch von verschiedenen Ausschweifungen begleitet wird.

Erotischer Wahnsinn steht sehr nah dem religiösen Wahnsinn und dem von den abscheulichen Greueltaten begleiteten blutgierigen Sadismus. Diese scheinbar divergierende Manifestationen des menschlichen Geistes haben ein gemeinsames psychisches Zentrum, eine gemeinsame psychische Quelle, in welcher auch das eigenartig gefärbte sprachliche Denken mitwirken kann.

 

§ 60. Von diesem dichterisch-religiös-sadistischen Drang beherrscht und getrieben, hat uns die Ecclesia Militans spanische Stiefel, eiserne Jungfern und verschiedene andere Folterinstrumente der heiligen Inquisition erfunden. In diese ausgesuchten Folterinstrumente hat sich die tätige Poesie des mittelalterlichen Katholizismus verkörpert.

  Und es gehört überhaupt unsere mit dem sexuellen sprachlichen Denken ausgestattete linguistische, ebenso arioeuropäische wie semitische, Rasse zu den grausamsten Rassen der Welt. Keine andere Rasse hat so viele kollektive Verbrechen verübt, keine hat so viel Mitmenschen ermordert, keine so viele andersstämmige Völker ausgerottet. In Amerika verschwanden blühende Zivilisationen, von den europäischen wilden Bestien vernichtet.

Heutzutage waren es gerade Arioeuropäer, die ein ganzes Meer von Blut und Tränen vergossen und die im Lauf von Jahrhunderten gesammelten Kulturschätze mit sadistischer Wollust gründlich vertilgt hatten.

Sind aber dabei die mit dem grammatischen Geschlecht ausgestatteten Sprachen dieser grausamsten Völker mitschuldig ?

Jedenfalls ist das sprachliche Genus aller Substanzwörter in unseren Sprachen und die dadurch bedingte Sexualisierung unseres sprachlichen Denkens einerseits ein Segen, andererseits ein Fluch. Segen, insoweit sie unsere wissenschaftliche und dichterische Schöpfung fördern; Fluch, insofern sie an dem Entstehen und Entwickeln eigenartiger Richtungen des menschlichen Wahnsinns mitarbeiten und den gegenseitigen Menschenhaß und Zerstörungswut stärken.

Außerdem wirkt das Vorhandensein des an den Substanz Wörtern haftenden sprachlichen Geschlechts in dem Sinne nachteilig, daß es mit einer ungeheueren Verschwendung der Zeit und der geistigen Energie verbunden ist, welche auf die Überwindung und Vergewaltigung dieses sprachlichen Auswuchses, d. h. auf das Merken des Geschlechts unzähliger Wörter in einigen Sprachen auf einmal verwendet werden muß.

Diese sprachliche Eigentümlichkeit also ist zwar unser Freund, aber wohl häufiger unser Feind.

Um aber einen Feind unschädlich zu machen, muß man ihn vor allem gründlich kennenlernen.

Dieses Kennenlernen wird jedoch dadurch erschwert, daß der riesenhafte Fortschritt auf dem Gebiet wissenschaftlicher und künstlerischer Erfindung von einem Stehenbleiben oder sogar von einem Bückschritt in der Sphäre der ethischen Vervollkommnung begleitet wird.

 

Inhalt

Persönliches    .....................    

§ 1. Teilung des Themas     ............      

 

I. Einfluß   des sprachlichen Denkens im allgemeinen.

§§ 2—30.

§§ 2—3.      Gegenseitige Beeinflußung des sprachlichen Den-kens und des menschlichen Denkens überhaupt. Bedeutung der Sprache als solcher. Menschliche Megalomanie

§§ 4—5. Sprachverschiedenheit.  Vielsprachigkeit. Muttersprache. Völkerhaß und Völkerachtung. Gegenseitige  Verfolgung  auf  Grundlage  der Sprachschiedenheit

§ 6. Sprachlicher Purismus   und   sprachliche   Xenophobie

§ 7. Erlernung fremder Sprachen

§ 8. Mittel der Wertschätzung der Bildungsstufe und der sozialen Stellung

§ 9. Verschiedene Style des Sprechens und Schreibens    

§ 10—14. Sprachliches Wissen.  Die Welt  als Wörterbuch  

§ 15. Wortfanatismus

§ 16. Macht des Wortes

§§ 17—18. Regeln und Ausnahmen. Flexion und Agglutination.  Homonymismus und Synonymismus, Künstliche Weltsprachen

§ 19. Quantitatives Denken

§§ 20—28. Schrift, Schriftwesen. Alphabetismus und Analphabetismus. Einfluß der Schrift auf Weltanschauung und Stimmung. Phonetisch-akustische Schrift und Ideographie. Phonemographie. Morphemographie. Monoprinzipismus und Polyprinzipismus. Heimische Wörter und Entlehnungen. Enträtselungsgabe (Divinationsgabe) des Lesenden. Historische Schreibweise. Einfluß der Schrift auf Gruppierungen der Völker und Nationalitäten. Parallelismus und   Nichtparallelismus zwischen Schriftreihen und Lautreihen. Verwechslung der  Begriffe

§§ 29—30. Einfluß der Eigenart der gegebenen Sprache auf ihre Behandlung seitens der heimischen Grammatiker

 

II. Verschiedene sprachliche Genera und ihr Zusammenhang mit der Weltanschauung und Stimmung betreffender Individuen und Völker.  §§ 31—44.

 

§§31—36. Tatsache der Existenz grammatischer Geschlechter. Sprachen mit  Geschlechtsunterscheidung und geschlechtslose Sprachen. Von diesem Standpunkt aus verschiedene Gruppierungen der arioeuropäischen Sprachenwelt. Geschlechtsexponenten an Substantiven und an den sie bestimmenden Wörtern                                 

§§ 37—40. Dreiartige Geschlechter: 1) Sexualisierung des menschlichen Denkens; 2) Biologische Unterscheidung des Belebten und Unbelebten; 3) Soziolo-gische Gegenüberstellung männlicher Personen der ganzen übrigen Welt. Feminina als Derivata von den Masculinen. Eva aus Adamsrippe. Eigene Wirtschaft des sprachlichen Denkens. Gemeinsame Tänze

§§ 41—44. Der gewaltige Einfluß der obligatorischen Genusbezeichnung auf die Psychik. Obligatorische Bezeichnung in den Pässen der Haarfarbe und der Konfession. Die Verjudung des sprachlichen Denkens. Vorstellung des Eigentums. Unterscheidung der Bestimmtheit und Unbestimmtheit . . . .

 

III. Zusammenhang der Genusunterscheidung mit Weltanschauung und Stimmung §§45—60.

 

§§ 45—47. Gegenseitige Einwirkung und gegenseitiger Austausch zwischen der Außenwelt und zwischen der menschlichen Psyche. Literarische Tätigkeit. Witze und Wortspiele. Gesetzgebung. Zehn Gebote Gottes. Institutionen und Würden. Rein weltliche Codices und Gesetzbücher. Gleichberechtigung

§ 48. Pornographie. „Platonische Liebe“. Sexualisierte Substanzvorstellungen befruchten sich gegenseitig. Die Sprache als Mythologie. Schöpferische Kraft im Gebiet der Wissenschaft, der Literatur, der Dichtung,  der  Kunst.  Gehirnerotismus

§§ 49—55.    Das Wort wird zur Macht und zum Körper. Das sprachliche Denken schafft viele Götter und bevölkert den nationalen Olympus. Götter und Göttinnen. Etymologische Mythen. Zeus als göttlicher Don Juan. Hebräischer alter Junggeselle Jehova unterliegt dem arischen Einfluß und heiratet. Hexen und Teufel. Mittelalterlicher christlicher Fanatismus. Männliche und weibliche Gestalten künstlerischer Verkörperungen

§§ 56—57. Geschlechtsvorstellung als Plage, als Alp, als Cauchemar. Flucht vor Versuchungen. Wüsten und Einsiedeleien. Büßer und Mönche. Selbstkasteiung. Kampf mit sexuellen Versuchungen und Halluzinationen. Erotische Verliebung in die Jungfer Maria und in Jesus Christus. Wandernde Ritter.   Immaculata conceptio.  Memento sexus! „Am Anfang war das Geschlecht“ 

§§ 58—60. Erotische Monomanie. Physiologisch und ethisch schädliche Kunstprodukte. Depravation, Degeneration. Traumbilder im Wachzustand. Erotischer Wahnsinn. Erotisch-religiös-sadistischer Drang. Ecclesia Militans. Arische und semitische Rasse. Segen und Fluch. Freund und Feind. Den Feind kennenlernen .

 

 

 


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