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Centre de recherches en histoire et épistémologie comparée de la linguistique d'Europe centrale et orientale (CRECLECO) / Université de Lausanne // Научно-исследовательский центр по истории и сравнительной эпистемологии языкознания центральной и восточной Европы

-- V. Skalicˇka : «Zur Charakteristik des eurasischen Sprachbundes», Archiv Orientální, VI, n°1, 1934, p. 272-274.

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        R. O. Jakobson hat in einigen seiner Abhandlungen[1] die Existenz eines weitverbreiteten Sprachbundes, des sog. eurasischen Sprachbund bewiesen. Er hat als seine Merkmale folgendes festgesetzt: 1. Monotonie d. h. Mangel an Melodie- oder Kehlkopfverschlußkorrelation, 2. Eigenton-korrelation der Konsonanten. Man könnte fragen, ob vielleicht auch andere Merkmale für den betreffenden Sprachbund angewendet werden könnten.
        Bekanntlich sind verschiedene Korrelationen in verschiedenen slavischen Sprachen geblieben oder verschwunden. Im Lausitz-Sorbischen, Polnischen, Russischen und Bulgarischen ist die Quantitätskorrelation jetzt ganz unbekannt. Von diesen gehört das Bulgarische zum sog. balkanischen, die anderen Sprachen (und auch der ostbulgarische Dialekt) zum eurasischen Sprachbund. Danach gibt es in den eurasischen Sprachen des slavischen Sprachstammes keine Vokalquantitätskorrelation.
        Wir gehen auf das uralische Sprachgebiet über. Diese Sprachen sind inbezug auf die Vokalquantität auf 2 Zonen, auf die nordwestliche mit und auf die südöstliche ohne die betreffende Korrelation verteilt. Zu der ersten gehören das Ungarische, das Lappische und der baltisch-finnische Sprachzweig, ferner die samojedischen und die Ob-ugrischen Sprachen, samJu madāš oder madaš: madaš (verschiedene Formen des Wortes madaš schneiden), vogP ńer : ńēr Rohr: Sumpf, ostj. poś : pōś Kot: Rand.[2] In den permischen Sprachen mit Ausnahme des Ižemischen Dialektes, im Tscheremissischen und Mordwinischen ist die Vokalquantitätskorrelation unbekannt.[3] In der Ižemischen Mundart der syrjänischen Sprache, d. h. d
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nördlichsten, an das Samojedische grenzend, ist die Quantitätskorrelation neu entstanden, pi:pī Sohn: Wolke. Eine solche Einteilung der uralischen Sprachen stimmt sehr gut — mit Ausnahme des Nordostens — mit der Isoglosse der Mouillierungskorrelation der Konsonanten überein.
        Auf ähnliche Weise teilen sich auch die türkischen Sprachen. Für das Kasanische hat Radloff[4] nur ein Paar des langen und kurzen Lautes angewendet : i, ī. Über das Vorkommen des ī in dieser Sprache war man schon öfter im Zweifel.[5] Wie dem auch sei, genügt dieses einzige Paar bekanntlich nicht zur Existenz der Korrelation lange : kurze Vokale. Ferner gibt es keine Quantitätskorrelation im Baschkirischen, Tschuwasischen und einigen Usbekischen Mundarten.[6] Dagegen kommt diese Korrelation im Jakutischen, in den altaischen Dialekten, im Kirgisischen, im Osmanischen und anderen uzbekischen Mundarten vor.[7] In den Türksprachen ist die Grenze der (später entstandenen) Vokalquantitätskorrelation westlicher als die der Eigentonkorrelation der Konsonanten (sie stimmt sehr gut mit der Grenze des geographischen Begriffes des europäischen Rußlands überein). Jedoch die Isoglosse in den verschiedenen türkischen, uralischen und slavischen Sprachen ist u. E. hier ganz klar.
        Geht man auf das Gebiet der Syntax über, so kann man hier einen gewissen Konservatismus beobachten. So wäre es möglich, daß einige Eigentümlichkeiten des eurasischen Sprachbundes auch in solchen Sprachen bewahrt wären, die in anderer Hinsicht mit den nichteurasischen Sprachen übereinstimmen, und daß die Zahl der neuen Eurasiatismen verhältnismäßig gering wäre.
        Es wäre vielleicht nicht zu kühn anzunehmen, daß die sog. uralaltaischen Sprachen (wenigstens einige unter ihnen), die teilweise noch jetzt dem eurasischen Sprachbund angehören, einst von dem geographischen Gebiet des eurasischen Sprachbundes nicht entfernt waren. Dabei liegt der Gedanke nahe, daß einige uralaltaische Eigentümlichkeiten, die auch in anderen eurasischen Sprachen vorkommen, als Eurasiatismen erklärt werten können.
        Für die uralaltaischen Sprachen ist die Vorliebe für den nominalen Satz charakteristisch.[8] Bekanntlich kommt diese Ausdrucksweise auch Russischen vor. Schon Gauthiot (p. 25) glaubt, daß der russische Gebrauch durch den finnisch-ugrischen Einfluß entstanden ist. Durch Kon-
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frontierung mit der eurasischen Hypothese kann man diese Meinung auf einen sicherern Boden stellen.
        Ein anderes charakteristisches Merkmal der uralaltaischen Sprachen ist der mangel des Zeitwortes ‘haben’.[9] Etwas ähnliches kennen wir auch aus dem Russischen, was man u. E. auch als einen Eurasiatismus erklären kann.



[1] K. Jakobson, Über die phonologische Sprachbünde, TCLP IV.; derselbe, K charakteristike jevrazijskogo jazykovogo sojuza, Paris 1931.

[2] Castrén, Grammatik der samojedischen Sprachen SPb 1854, p. 390, 397; Kannisto, Zur Geschichte des Vokalismus der erster Silbe im Vogulischen MSFOu 46, p. 42, 45; Ahlquist, Über die Sprache der Nordostjaken, Helsinki 1880. Die samojedischen Sprachen, wenigstens einige stehen auch wegen ihres häufig vorkommenden Kehlkopfverschlusses außerhalb des eurasischen Sprachbundes, vgl. samJen. l’ibe : l’be' (der Adler : des Adlers), Castrén, 1. c, p. 174.

[3] Wichmann, Studienreise zu den Syrjänen JSFOu 21, 3, p. 19, 21; Aminoff, Votjakin äänne ja muotoopin luonnos JSFOu 14, 2, p. 11; Beke, Cseremisz nyelvtan, NyK 39, p. 86; N. S. Trubetzkoy, Das mordwinische phonologische System verglichen mit dem Russischen, Charisteria Guilelmo Mathesio, Praha 1932.

[4] Radloff, Phonetik der nördlichen Türksprachen, Leipzig 1882, p. 15.

[5] Paasonen, JSFOu 14, 2, p. VI.

[6] Biljalov, Tablicy po fonetike baškirskogo jazyka, Zapiski kollegii vostokovedov
 pri azijatskom muzeje ak. nauk SSSR III., p. 369 f. Jegorov, Vvedenije v izučenije čuvašskogo jazyka, Moskva 1930, p. 50, Polivanov, Obrazcy neiranis. gov. uzbekskogo jazyka, Izv. Ak. n. SSSR 1929, Ser. 7, N° 7, p. 515.

[7] Radloff, 1. c; Polivanov, 1. c, 528.

[8] R. Gauthiot, La phrase nominale en finnoougrien, Sonderabdruck aus MSLP 15 ; H. Winkler, Uralaltaische Völker und Sprachen, Berlin 1884, p. 57.

[9] Winkler, 1. c., p. 208.